Schlüsselherz (German Edition)
löschen konnten. Vor Coffee, den Nathaniel ohne una n gebrachte Rücksicht vorantrieb, wichen die Leute zumindest soweit zurück, dass ein Durchkommen war. Die Hitze strahlte von dem Brand ab und je näher er dem Theater kam, desto mehr Schweiß lief Nathaniel das Rückgrat hinab. Es war saurer Angstschweiß. Seine Chancen, noch irgendetwas aus diesem Inferno zu retten, schienen längst und ungenutzt verstrichen.
„ He, Mann!“, rief ihm ein Polizist zu, der sein Halstuch über Mund und Nase gezogen hatte. „Sie dürfen da nicht weiter – kehren Sie sofort um!“
„ Den Teufel werde ich.“ Genau den spürte er bereits im Nacken. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Er musste es zumindest vers u chen.
Als er das Anwesen endlich vor sich sah, flackerte Hoffnung in ihm auf. Es war das Dach, das brannte wie ein Osterfeuer. Aus den Fenstern in den unteren Stockwerken jedoch quoll kaum Rauch. Feuerwehr, Polizei und zahlreiche Helfer trugen Wassereimer und Schläuche umher, bedienten mit ihrer Muskelkraft die Pumpen und versuchten ihr Bestes, das Feuer zu löschen. Doch bislang gab es sich vollkommen unbeeindruckt. Es knisterte und knarschte und die Flammen knusperten und schmatzten mit ohrenbetäubender Lau t stärke am Holzgebälk des Daches. Darunter mischte sich das Jaulen der Sirenen. Nathaniel vermochte nicht einmal, die auf dem Pflaster trommelnden Hufe seines Pferdes zu hören.
Er erblickte einige Puppen, die eng beieinander in der Nähe des Hauses standen, wo es für Menschen aufgrund des fehlenden Saue r stoffs in der Luft bereits lebensgefährlich war. Ohne sich um die Männer zu kümmern, die ihn aufhalten wollten, ritt er auf sie zu.
„ Seid ihr alle in Sicherheit?“, brüllte er gegen das Tosen an. „Fehlt eine von euch?“
„ Cera“, rief ihm eine zu. Blanke Panik verzerrte ihre makellosen Züge. Sie wusste also noch nichts von der Entführung.
„ Und Esra!“, ergänzte eine andere. „Wir konnten sie nicht finden.“
„ Bitte, Sir, reden Sie mit den Feuerwehrmännern! Sie müssen noch einmal jemanden reinschicken oder uns erlauben, selbst zu gehen.“
„ Auf uns hören sie nicht.“
„ Sie sagen, das Dach könnte einstürzen.“
„ Helfen Sie uns?“
Nathaniel nickte wortlos, während die Puppen nun alle wild durcheinander riefen. Er wendete sein Pferd, doch statt den Einsat z leiter aufzusuchen, hatte er etwas ganz anderes im Sinn.
„ Die ganze Stadt nennt dich einen Höllengaul“, murmelte er Coffee zu. Dessen schwarze Ohren spielten, als hätte er eine fürc h terliche Ahnung, was sein Herr gleich von ihm verlangte. „Jetzt musst du beweisen, dass du wirklich einer bist.“
Er trieb den Rappen an und ritt auf den Haupteingang des The a ters zu. Die Treppen nahm der Hengst mit einem gewaltigen Sprung. Als er durch das Portal in die Halle galoppierte, musste Nathaniel sich unter dem Torbogen hinwegducken. Hinter ihm wurden Schreie laut, die er ignorierte.
In der Halle schlug ihm glühend heiße Luft entgegen. Er zog sich sein Hemd über den Nasenrücken und schützte seine Augen mit einem angewinkelten Unterarm. Brandherde konnte er keine ausm a chen, dafür klang das Pfeifen und Stöhnen des brennenden Daches so bedrohlich, als würde er sich in der Hölle vor dem Teufel selbst unter dessen eigenem Bett verstecken.
Das hält schon, das stürzt so leicht nicht ein, sagte er sich lautlos. Er kannte sich mit alten Häusern gut genug aus, um halbwegs sicher zu sein, dass dieses noch eine Weile standhalten würde. Das Theater hatte einen Krieg und Bombardierungen hinter sich, da würde ein kleines Feuer im Dachstuhl schon nicht …
Ein peitschender Knall, gefolgt von einem Scheppern und Klirren ließ sein Pferd zusammenzucken und sich dann entsetzt aufbäumen. Ein Deckenleuchter war herabgefallen und dicht hinter ihnen in ta u send T eile zersprungen.
Nur keine Zeit mehr verschenken!
Nathaniel stieß Coffee die Fersen in die Flanken und trieb ihn eine breite Treppe hinauf. In Sekunden hatten sie das Büro von Lyssandra Keyman erreicht. Aus dem Sattel trat er die Tür auf und lenkte sein Pferd hinein. Der gemalte Reiter wedelte mit beiden A r men wie ein Gestrandeter auf einer Insel.
„ Zu Hilfe!“, rief er. „Retten Sie mich. Es brennt!“
„ Wie gut, dass Sie mir das sagen“, murmelte Nathaniel trocken und stieg ab. Er überlegte, ob er das Seelenfragment hier und jetzt aus dem Bild entfernen sollte, doch erfahrungsgemäß brauchte er dazu viel Zeit, denn die
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