Schluss mit dem ewigen Aufschieben
sich an ihn gewöhnt. Dann haben
Sie vielleicht noch Gewissensbisse, erwarten aber im Grunde nichts mehr von sich und haben de facto resigniert. Eine traurige
Lösung, denn Sie wählten damit ein Stück Selbstaufgabe.
Wenn Sie die Tatsache verleugnen, dass Sie Ihr Aufschieben nicht im Griff haben, werden Sie weiterhin Anläufe machen, sich
mit Selbstkontrolle beizukommen, mit einem Vorgehen also, das sich schon hundertmal als unwirksam erwiesen hat. Wenn Sie sich
und anderen versprechen, dass Sie das nächste Mal bestimmt durchhalten, sind Sie in Gefahr, nicht nur völlig unglaubwürdig
zu werden, sondern zusätzlich als Phantast dazustehen, der sich weigert, die Realität anzuerkennen. Ihr Leben wird dann zur
Lüge, mit eventuell düsteren Folgen, auf die schon Proust hinwies:
»Wenn es sich ums Schreiben handelt, ist man gewissenhaft, man sieht sehr genau hin, man verwirft, was nicht Wahrheit ist.
Solange es aber nur um das Leben geht, ruiniert man sich, macht sich krank oder begeht Selbstmord, und das um lauter Lügen.«
(Proust, VII, S. 316f.)
Sie können sich dann auf eines verlassen: Sie werden weiter aufschieben und als ein ewig uneingelöstes Versprechen aus dieser
Welt gehen. Oder aber Ihre Unzufriedenheit und Ihre Selbstverachtung werden bis zu einer Schwelle gesteigert, ab der eine
Veränderung möglich wird. Dann werden Sie zwei Dinge einsehen: dass es wirklich Ihr Aufschieben ist, das Ihnen so viel Leid
verursacht; und dass Sie darüber tatsächlich keine Kontrolle haben.
Sie sind dann bereit, die für Sie falsche Frontstellung »Ich gegen finstere innere Aufschiebemächte« aufzugeben. Sie erwerben
damit |285| eine neue Beziehung zu sich und den anderen, die mit Anerkennung und Ergebung zu tun hat. Sie fügen sich der Einsicht, dass
der abgespaltene innere Schweinehund Ihr Lebensgefährte ist, den Sie nicht besiegen, sondern mit dem Sie sich nur arrangieren
können. Vielleicht kann Ihnen die Vorstellung helfen, dass es Probleme gibt, die mit der Strategie des »Mehr desselben« nicht
gelöst werden können. Wenn Ihre Zimmerpflanze nicht gedeiht, geben Sie ihr mehr Dünger. Sieht sie immer noch nicht prächtig
genug aus, kippen Sie Dünger nach. Lässt sie die Blätter hängen, geben Sie ihr Wasser. Wenn Sie nach einem Tag weiterhin welk
aussieht, steigern Sie die Dosis und giessen noch einmal kräftig nach. Am Ende ist Ihre Pflanze eingegangen, überdüngt und
ertränkt. Ihre Lösung war dem Problem nicht angemessen. Die Wachstumsprozesse einer Pflanze sind auch durch Einsatz des Willens
nicht zu beeinflussen. Sie können sie anschreien, die Fäuste schütteln oder Prämien aussetzen: Sie wächst doch nicht schneller.
Auch Sie brauchen Zeit, um eine früher nicht mögliche Entwicklung nachzuholen.
Ihr süchtiges Aufschieben, das in Lebenslügen gipfelt und in dem Gefühl, dass Sie ein Schwindler seien, können Sie nur heilen,
indem Sie akzeptieren, dass Sie nicht Herr sind im eigenen Haus. Wie die Anonymen Alkoholiker der Auffassung sind, dass der
Alkohol als Ausweg diene aus der persönlichen Versklavung durch die falschen Ideale einer materialistischen Gesellschaft,
so können Sie als Anonymer Aufschieber für sich in Anspruch nehmen, sich in einer Revolte zu befinden, die sich gegen die
kaputten Voraussetzungen zur ungestörten Erledigung von Vorhaben und Aufgaben in Ihnen selbst richtet. Wenn Sie wirklich bereit
sind zu akzeptieren, dass Sie Ihr Aufschieben nicht kontrollieren können, dann sind Sie vielleicht auch dazu bereit, innere
Fähigkeiten, die Sie bisher nicht entwickeln konnten, mit fremder Hilfe aufzubauen. Dies kann durch eine Psychotherapie gelingen.
In ihr wird es auch darum gehen, die kindlichen, übertriebenen und unangemessenen Aspekte Ihres Selbstkonzepts realistischer
zu machen. Vor allem aber wird das Ziel sein, Ihr Selbstkonzept so zu verändern, dass Sie nicht länger innere Gegensätze aufbauen
müssen: Sie gegen den Rest der Welt, Ihr Ich gegen die Trägheit, Stärke gegen Schwäche.
|286| Reif für die Couch?
Es gibt verschiedene Psychotherapieformen, die von den Krankenkassen bezahlt werden, wenn eine krankhafte Störung vorliegt.
Aufschieben allein ist zwar keine Krankheit, kann aber – wie Sie gesehen haben – sehr wohl ein Symptom einer Störung sein
oder mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen einhergehen. Der Psychotherapeut wird herausfinden, ob Ihr Aufschieben beispielsweise
durch das
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