Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Selbststeuerung als so außerordentlich wichtig
angesehen wird.
Süchtiges Aufschieben
Nehmen wir einmal an, dass Sie bislang Ihr Aufschieben mit einem Mangel an Selbstkontrolle gleichgesetzt haben. Nun erwarten
Sie sich die Lösung davon, sich mehr als bisher zu steuern. Sie haben sich deswegen dieses Buch gekauft, die empfohlenen Strategien
eine Zeitlang angewendet, aber die Erfahrung gemacht, dass Sie damit Ihr Aufschieben nicht verändern können. Offenbar sind
Sie dem Aufschieben gegenüber machtlos und können diesen Aspekt Ihres Lebens nicht beeinflussen. Eigentlich müssten Sie den
Kontrollverlust als Regelfall einplanen und sich eingestehen, dass Sie ziemlich am Ende sind mit Ihrem Latein.
|281| Möglicherweise kränkt Sie das bisher so sehr, dass Sie sich immer wieder vorgenommen haben, der Versuchung zu widerstehen,
sich einen Plan zu machen, den einzuhalten, sich nicht abzulenken und so weiter. Sie träumen davon, dass Ihr Ich stark und
dominierend über das siegt, was Sie für Schwäche und Faulheit halten. Tatsächlich aber führt dieser Weg – mit guten Vorsätzen
gepflastert – zur Hölle.
Natürlich gibt es Probleme, die mit dem Sieg des Ichs über den inneren Schweinehund gelöst werden können. Diese Lösung funktioniert
wie die Heizung: Es ist kalt, Sie drehen die Heizung an. Es ist noch nicht warm genug, Sie drehen den Thermostaten höher.
Mehr desselben, bis das Resultat zufriedenstellend ist. Falls es nicht wärmer wird, werden Sie annehmen, dass irgendetwas
an der Heizung kaputt sei. Mit Ihrem Aufschieben können Sie es genauso halten: Sie schieben auf, Sie versuchen es mit Selbstkontrolle.
Sie schieben weiterhin auf, Sie steigern die Selbstkontrolle. Wenn es nicht klappt, ist vielleicht irgendetwas in Ihnen nicht
in Ordnung. Sie müssten einsehen, dass Selbstkontrolle bei Ihnen nicht funktioniert. Sie sind in derselben Lage wie ein Alkoholiker,
der erkennen muss, dass er den Drang zur Flasche nicht beherrschen kann. Sie können das süchtige Ausweichen, den Drang zur
unmittelbaren Spannungserleichterung auch nicht abstellen. Sie können zur Psychotherapie gehen und versuchen herauszufinden,
was in Ihnen kaputt ist, um es dann wieder in Gang zu bringen.
Leider aber gehört zu dieser Störung dazu, dass Sie in extremer Weise überzeugt davon sind, sich potentiell doch und jederzeit
selbst steuern zu können. Obwohl Ihre Erfahrungen das Gegenteil beweisen, glauben Sie weiterhin, dass Sie der Steuermann am
Ruder Ihres Schiffes sind. Wenn Sie sagen: »Ich werde gegen den Schlendrian ankämpfen«, dann bauen Sie nicht auf vergangene
Erfolge, sondern setzen einzig und allein auf Ihren Stolz. Der beruht angesichts Ihrer Fehlschläge in der Vergangenheit nicht
auf der rückblickenden Gewissheit: »Ich habe es schon so oft geschafft, mich zu beherrschen«, sondern auf der durch nichts
begründeten illusionären Zuversicht: »Ich kann es schaffen, mich zu beherrschen«. Sie leben dann im Bann einer Fantasievorstellung,
die Ihnen wichtiger ist als die Realität. Bald sind Sie der einzige, der daran glaubt, dass Sie das Aufschieben wirklich aufgeben
können.
Wenn Sie statt auf die Realität auf Ihren neurotischen Stolz setzen, dann lernen Sie nicht aus Ihrer immer wieder erlebten
Machtlosigkeit, |282| sondern missdeuten sie als nicht hinnehmbare Unfähigkeit, was Ihre Aufschieberkarriere verlängert. Um nicht so unfähig zu
sein, klammern Sie sich an einen Arbeitsplan. Haben Sie diesen Plan eine gewisse Zeit eingehalten, so stellt sich nicht etwa
mehr Stolz auf Ihre reale Leistung, es geschafft zu haben, ein. Ihre Befriedigung kommt ja eben nicht aus der Erfahrung, dass
Sie sich beherrscht haben, sondern aus dem Stolz darauf, dass Sie sich jederzeit wieder beherrschen können. Um sich das zu
beweisen, müssen Sie wieder aufschieben, womit sich Ihre Machtlosigkeit erneut zeigt. Ihr neurotischer Stolz lässt jedoch
weder Machtlosigkeit noch Unfähigkeit gelten. Sie spalten sich immer mehr in einen Teil, der bewusst den Schlendrian bezwingen
will, und den Rest, der nicht pariert. Sie stimmen Freunden und Verwandten zu, die Sie dazu drängen, stark zu sein und den
inneren Schweinehund zu überwinden. Wie ein Alkoholiker, der im nüchternen Zustand Stein und Bein schwört, der nächsten Versuchung
zu widerstehen, geloben Sie, nie wieder aufzuschieben. Sie setzen die beiden Teile Ihres Selbst, das große starke Pferd, das
immer wieder
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