Schluss mit der Umerziehung!
in der Firma, so wird eine solche Kollegin aufgefordert, sie zu übernehmen, als Filialleiterin, als Produktmanagerin, als Key Account Managerin, als IT- Entwicklerin, als Sachbearbeiterin. Kürzlich suchten wir zum Beispiel eine Person, die gut schreiben und texten kann, um unsere vielen Webseiten rasch und sprachlich gekonnt zu ergänzen, Flyer zu erstellen u.ä.. Die inhaltlichen Argumente werden ihr von den Fachfrauen geliefert, aber sie muss rascher und flotter texten können als diese. Eigentlich wollten wir uns dafür auf die Suche nach einer externen Bewerberin machen â was sich jedoch immer als schwierig darstellt, denn wie in allen Unternehmen so muss auch bei uns erst ganz viel spezifisches Wissen über unsere Kultur aufgebaut werden, bevor eine Person das richtig gut wiedergeben kann. Abends jedoch, beim Ãber-den-Flur-Plausch, fällt einer Kollegin ein: Wir sollten doch eine neue Kollegin fragen. Sie hatte bei einem Kongress bisher vor allem Organisations- und Rechercheaufgaben übernommen, wirkt sehr jung und unauffällig â und von daher sind ihre Talente von auÃen nicht automatisch erkennbar. Aber im Rahmen ihrer Arbeit hat sie bereits ausgezeichnete Texte ganz selbstständig abgeliefert. Das Entscheidende ist hier nun, dass ihre erfahrene Kollegin und Vorgesetzte dies erkennt und weitergibt, ihr den Erfolg einer Profilerweiterung gönnt.
Karrieren sind immer relativ, auch kleine Schritte können Neid auslösen. Irritationen bei anderen bleiben dabei nicht aus â warum diese Kollegin und nicht eine andere? Warum nicht ich? Doch alle wissen: Es wird bei Gelegenheit auch neue Chancen für andere geben, dabei bleiben alle auÃerdem fest eingebunden in eine Teamkultur, die Gehaltsunterschiede sind ohnehin eher gering â vor allem aber wird ein kleiner oder groÃer Aufstieg auch nicht mit starken Machtinsignien ausgestattet. Das ist einerseits dem Mangel an Geld in der Firma geschuldet. Es passt aber auch zu einer Frauenkultur: Hier wird grundsätzlich nicht der Abstand zu anderen betont, sondern die Nähe und Gemeinsamkeit â dies macht Entwicklungsschritte auch für die Frauen selbst leichter. Denn nichts oder fast nichts fürchten sie so sehr wie eine deutlich exponierte Stellung gegenüber der Gruppe oder die Ausgrenzung, und zwar auf jeder Hierarchiestufe.
»Produktverantwortliche« â beispielsweise für den Bereich Elder Care oder für Au-pairs â zu sein, ist deshalb auch keine klare Führungsaufgabe im Sinn von eindeutiger Weisungsbefugnis. Wohl aber eine Aufgabe, die strategische Entwicklung beinhaltet und mehr Kontakt zur Leitungsebene hat. Es sind Aufgaben, die gewissermaÃen in der Schwebe bleiben â zwischen klarer Führungsaufgabe durch Anweisungen, Moderation, Koordination und Dienstleistung für die anderen Kolleginnen. Das hat damit zu tun, dass solche Aufgaben teilweise gar nicht, oder nur sehr begrenzt zusätzlich vergütet werden; es ist aber auch der hohen Ambivalenz gegenüber eindeutigen Karriereschritten und Statusabgrenzungen geschuldet, der Tatsache, dass Frauen â anders als Männer â Autorität ungern fest zuschreiben und nur ungern an eine Person dauerhaft vergeben. Schon kleine Jungen agieren in dauerhaften verlässlichen Rangordnungen, in Dominanzhierarchien, Frauen hingegen bilden Ansehens- oder Geltungshierarchien heraus, in denen Führungspositionen immer wieder auch infrage gestellt werden. 7
Die etwas diffuse Beschreibung von »Führungsaufgaben« in unserem Unternehmen erzeugt zwar oft Unbehagen bei denen, die sie innehaben und auch bei denjenigen, die so koordiniert oder geführt werden, aber eine klare Anweisungs- und Entscheidungsstruktur, wie sie oft gefordert wird, bedeutet unter Frauen weit mehr Widerstand und Konflikt. Sie bedeutet auÃerdem, dass die »Geführten« ihre eigene Mitverantwortung reduzieren â wo sie sich nicht mehr gefragt fühlen, neigen gerade Frauen dazu, entweder einfach zu funktionieren oder indirekt zu sabotieren. Beides kostet Kraft, Motivation und Geld. Die Organisation muss also zwischen den Polen von möglicher Entscheidungsschwäche und möglicher Demotivierung navigieren und immer wieder einen neuen Kurs finden.
Aber trotz keineswegs ausbleibender Konflikte rund um Führungs- oder Projektaufgaben ist es immer eindrucksvoll und bewegend, wie die Kolleginnen darin oft wachsen, wie
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