Schlussblende
nicht über laufende Ermittlungen reden darf, Sir. Aber Sie waren uns eine große Hilfe, soviel kann ich sagen. Achten Sie mal in der nächsten Zeit auf die Fernsehnachrichten. Wenn wir Glück haben, erfahren Sie bald, warum ich hier war.« Er stand auf. »Und jetzt werd ich mich mal lieber wieder auf den Weg machen. Meinen Vorgesetzten wird das, was Sie mir erzählt haben, sehr interessieren, Mr. Adams.«
»Ich warte seit Jahren drauf, daß ich’s endlich mal jemandem erzählen kann, Sonny. Seit Jahren.«
Barbara Fenwick wäre jetzt fast siebenundzwanzig Jahre alt. Wäre, aber sie war sechs Tage vor ihrem fünfzehnten Geburtstag durch Erdrosseln ermordet worden. Ihre verstümmelte Leiche war in einer Schutzhütte für Wanderer im Moor oberhalb der Stadt gefunden worden. Gewisse Anzeichen deuteten darauf hin, daß ihr Mörder sie zu sexuellem Verkehr gezwungen hatte, Spermaspuren wurden allerdings nicht gefunden, weder in der Vagina noch außerhalb. Die Art ihrer Verletzungen gab den ermittelnden Officern Rätsel auf. Psychopathen verstümmeln ihrem Opfer häufig die Geschlechtsorgane, in diesem Fall aber hatte der Mörder dem Mädchen den rechten Unterarm bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert, und zwar, wie der Pathologe versicherte, durch permanenten, ständig gesteigerten Druck und nicht etwa durch einen brutalen Schlag.
Für die Ermittler ergab das keinen Sinn.
Die Männer und Frauen, die die Leiche gefunden hatten, kamen als Verdächtige nicht in Frage, sie waren seit sechs Tagen gemeinsam bei einem Wander- und Campingurlaub unterwegs. Ihre Eltern, die Barbara fünf Tage vor dem Leichenfund als vermißt gemeldet hatten, standen ebenfalls nicht unter Verdacht, weil die pathologische Untersuchung eindeutig ergab, daß das Mädchen zur Zeit der Vermißtenanzeige noch gelebt hatte. Die Mutter und der Stiefvater sagten aus, Barbara habe sich zu Hause sehr wohl gefühlt, sie wäre bestimmt nie weggerannt, es könne sich also nur um eine Entführung handeln. Die Polizei zweifelte jedoch an der Entführungstheorie, da Barbara ihre besten Kleidungsstücke mitgenommen und den Eltern über ihre Absicht, wie sie den Tag nach der Schule verbringen wolle, etwas vorgeschwindelt hatte. Hinzu kam, daß das Mädchen am Tag seines Verschwindens die Schule geschwänzt hatte, und zwar nicht zum ersten Mal.
Für die Ermittler ergab auch das keinen Sinn.
Barbara Fenwick war kein störrischer, schwieriger Teenager gewesen. Bei der Polizei war sie ein unbeschriebenes Blatt, ihre Freunde und Freundinnen sagten, sie habe nie mehr als einen Apfelcidre getrunken. Niemand hielt es für möglich, daß sie Erfahrungen mit Drogen und Sex haben könnte. Ihr letzter Freund, der aus Eifersucht einen Monat vor ihrem Verschwinden mit ihr Schluß gemacht hatte, sagte, sie sei keine von denen gewesen, die leicht zu haben sind, im Gegenteil, er glaube, daß sie, wie er, noch Jungfrau gewesen sei. In der Schule war Barbara recht gut gewesen, sie hatte sich immer gewünscht, Kinderschwester zu werden. Zum letzten Mal war sie am Morgen ihres Verschwindens im Bus nach Manchester gesehen worden. Der Nachbarin, der sie beim Einsteigen begegnet war, hatte sie erklärt, sie müsse sich in der Zahnklinik die Weisheitszähne behandeln lassen. Aber ihre Mutter sagte, sie habe gar keine Weisheitszähne gehabt, was der Pathologe bestätigte.
Für die Ermittler ergab das keinen Sinn.
Nichts in ihrem Verhalten hatte darauf hingedeutet, daß sie von zu Hause weglaufen wollte. Noch am Samstag vor ihrem Verschwinden war sie mit Freunden in einer Disco gewesen, in der Jacko Vance zugunsten seines Spendenfonds Fotos signiert hatte. Ihre Freunde sagten, es sei ein supertoller Abend für sie gewesen.
All das ergab für die Ermittler keinen Sinn.
Für Leon Jackson dagegen sehr wohl.
D ie Steinplatte war so raffiniert eingefügt, daß nicht mal das zur stereotypen Lautuntermalung von Horrorfilmen zählende leise Knirschen zu hören war. Ein kurzer Druck auf die richtige Stelle der Wand, und schon schwenkte die Platte lautlos um hundertachtzig Grad herum und gab den Blick auf die Steinstufen frei. Jacko drückte auf den Lichtschalter, wartete, bis unten grelles Licht aufflammte, und stieg in die einstige Krypta der umgebauten Kapelle hinunter.
Noch bevor er die erbärmliche Kreatur sehen konnte, die einmal Donna Doyle gewesen war, nahm er den Gestank wahr: Verwesungsgeruch des Fleisches, vermengt mit der schalen Ausdünstung ungewaschener, fieberheißer Haut
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