Schlussblende
Schlamperei einreißen?« Er öffnete das Klappfach des Wandschranks: Zahllose Plastikkästchen mit Negativen, alle so gewissenhaft beschriftet wie die Videobänder.
»Gut, könnte ich mir dann die Negative ausleihen und mir Abzüge machen lassen?« fragte Tony.
»Ausgeschlossen«, sagte Hawsley störrisch. »Es handelt sich um wichtiges Material, das in meinem Besitz bleiben muß.«
Eine Viertelstunde später hatten sie sich auf einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiß geeinigt. Tony fuhr mit Hawsley und seinen so unersetzlichen Negativen zu einem örtlichen Fotoladen, dessen Inhaber bereit war, für einen exorbitanten Preis sogenannte Sofortabzüge zu fertigen. Danach hatte Hawsley es eilig, wieder nach Hause zu kommen und die Schachteln an ihren angestammten Platz zu stellen. Daß in seiner geliebten Sammlung Lücken klafften, und sei’s auch nur für kurze Zeit, mußte eine Seelenqual für ihn gewesen sein.
Wieder auf der Schnellstraße, auf dem Weg zum nächsten Fan, gönnte Tony sich einen kurzen Moment des Triumphs. »Wir kriegen dich, Jacko«, murmelte er in sich hinein. »O ja – wir kriegen dich.«
Simon McNeill wußte über Tottenham nur, daß es dort eine zweitklassige Fußballmannschaft gab und daß der Mob bei Unruhen in den Achtzigern, als er noch zur Schule gegangen war, einen Polizisten getötet hatte. Er rechnete nicht damit, daß die Einheimischen ihm freundlich begegneten, und so war es keine Überraschung, daß der städtische Angestellte auf seine Bitte um Einsicht in das Einwohnermelde- und Wählerverzeichnis etwa wie auf die Ankündigung eines Raubüberfalls reagierte. »Raussuchen können wir Ihnen nichts, dafür hab ich kein Personal«, knurrte er unwirsch. »Ohne Voranmeldung schon gar nicht.« Er führte Simon in das staubige Archiv, gab ihm eine Zehn-Sekunden-Einweisung in das Ablagesystem und überließ ihn seinem Schicksal.
Das Ergebnis der Suche war nicht ermutigend. In der Straße, in der Vance aufgewachsen war, hatten in den Sechzigern um die vierzig Häuser gestanden, von denen aber bis 1975 zweiundzwanzig einer Wohnanlage weichen mußten. In den verbliebenen achtzehn Häusern hatte es einen permanenten Mieterwechsel gegeben, vor allem Mitte der Achtziger, wegen der erdrückenden Umweltsteuer. Nur ein einziger Name tauchte konstant im Wählerverzeichnis auf. Simon hoffte, daß Tony Hill recht behielt und die Mühe sie wirklich dem Ziel, Shaz’ Mörder zu erwischen, näher brachte. Er massierte sich die Stirn, um die beginnenden Kopfschmerzen zu lindern, schlüpfte in die Lederjacke und machte sich auf den Weg, um einen Mann namens Harold Adams aufzusuchen.
Jimson Street Nummer 9 war ein winziges, aus schmutziggelbem Backstein gebautes Reihenhaus. Der schmale Streifen Garten, der es von der Straße trennte, war voll von leeren Bierdosen, Knabberzeugtüten und weggeworfenen Fast-food-Behältern. Eine abgemagerte Katze starrte Simon böse an, als er das Gartentor öffnete, dann flitzte sie, einen Hühnerknochen zwischen den Zähnen, an ihm vorbei auf die Straße. Überall hing der Gestank von Verwesung. Die ausgedörrte Gestalt, die nach minutenlangem Klopfen öffnete, mußte schon zu Vance’ Kindertagen ein alter Mann gewesen sein. »Mr. Adams?« fragte Simon, ohne sich große Hoffnungen auf eine wache Reaktion zu machen.
Der alte Mann reckte sich, um wenigstens einen Teil der Zentimeter wettzumachen, um die der Buckel ihn schrumpfen ließ, und sah Simon fest in die Augen. »Sind Sie von der Stadtverwaltung? Ich hab der Frau schon gesagt, daß ich keine Hilfe brauche. Und Essen auf Rädern will ich auch nicht.«
»Ich bin von der Polizei.«
»Ich hab nichts gesehen«, sagte Adams schnell und machte Anstalten, die Tür zuzudrücken.
»Augenblick mal. Ich will mit Ihnen nur über jemanden reden, der vor Jahren hier in der Straße gewohnt hat. Jacko Vance.«
Adams beäugte ihn mißtrauisch. »Sie sind einer von den Zeitungsschreibern, wie? Sie wollen einen alten Mann für dumm verkaufen. Ich werd die Polizei rufen.«
»Ich
bin
die Polizei«, versicherte Simon und schwenkte seinen Dienstausweis vor Adams’ müden alten Augen. »Sehen Sie’s?«
»Ja – schon gut, ich bin nicht blind. Ihr sagt uns doch immer, daß man nicht vorsichtig genug sein kann. Über Jacko Vance wollen Sie mit mir reden? Was denn? Der wohnt schon – ach, das müssen siebzehn, achtzehn Jahre sein – nicht mehr hier.«
»Darf ich reinkommen, damit wir ungestört plaudern
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