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Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Titel: Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Semiya Simsek , Peter Schwarz
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Narbenwulst wie eine Trophäe herzeigte und raunte: Siehst du das? Die habe ich mir bei einem Messerkampf geholt …
    Auch mein Vater musste sich in dieser Gemeinschaft erst Respekt verschaffen. Einmal geriet er mit einem Pakistaner aneinander, der seine paar Blumen direkt neben dem Stand meines Vaters loswerden wollte. Der Mann schimpfte und schimpfte, mein Vater schwieg und schwieg, der Mann schimpfte weiter, und irgendwann schrie mein Vater zurück. Sie bauten sich voreinander auf, der eine schubste, der andere schubste zurück, und dann lag der Pakistaner in der Hecke, rappelte sich auf und trollte sich. Mein Vater hatte einen Sieg errungen – und eine Anzeige wegen Körperverletzung und Beleidigung am Hals.
    So gärte und köchelte es bisweilen, aber wirklich ernste Konflikte gab es nicht. Im Grunde kannten die Blumenhändler einander und hatten alle mit denselben Problemen zu kämpfen, sie alle folgten demselben Lebensrhythmus. Samstagmorgen anfangen, Samstagmittag den Ärger über einen besonders pingeligen Polizisten in sich reinfressen, Samstagabend, wenn der Heimweg zu weit war, in irgendeiner Billigpension absteigen, Sonntag früh wieder verkaufen. Es gab richtige Szenehotels, Adressen, die sich herumsprachen: Da kannst du hin, ist recht sauber, der Preis stimmt, und der Kaffee ist … na, man kann nicht alles haben. Manchmal trafen sich an einem Samstagabend fünf, sechs, acht Händler in so einer Pension.
    Mein Vater machte Fehler, zahlte sein Lehrgeld, focht seine kleinen Kämpfe aus – doch nach zwei, drei Jahren gehörte er zu den Routiniers. Blumensträuße zu verkaufen, das wurde ihm immer klarer, war ein gutes Geschäft. Es ließ sich womöglich ausbauen. Seine berufliche Existenz, seine Karriere in Deutschland nahm Gestalt an.

    Etwa um die Zeit, da mein Vater mit dem Blumenhandel begann, wurde ich eingeschult, im Jahr darauf mein Bruder. Zu dieser Zeit war meine Mutter zu Hause. Sie hat damals noch wenig gearbeitet, und es war ihre wichtigste Aufgabe, sich um die Kinder zu kümmern. Wenn wir von der Schule heimkamen, stand das Mittagessen schon auf dem Tisch. Danach mussten wir, eiserne Regel, als Erstes die Hausaufgaben erledigen und einen Mittagsschlaf halten. Es war ein Ritual, ich sehe meine Mutter noch vor mir, wie sie die Gardinen zuzieht und sagt: So, jetzt müsst ihr schön schlafen. Das hat mir natürlich überhaupt nicht gepasst. Draußen hörte ich die anderen Kinder rumtoben, und ich musste mich hinlegen. Wir hatten feste Fernsehzeiten, immer von fünf bis sieben, und am Wochenende durften wir «He-Man» und «She-Ra» gucken. Abends hat uns Mama etwas vorgelesen oder türkische Geschichten und Märchen erzählt. Und vor dem Einschlafen mussten wir gemeinsam mit ihr beten. Sie hat uns Gebete beigebracht, hat sie vorgesagt, und wir mussten sie nachsprechen. Es geht in diesen Sprüchen darum, dass man am Ende des Tages noch einmal mit Gott reden, sich für den Tag bedanken sollte – dafür, dass man zu essen hat, dass es einem gutgeht. Man sollte die schönen Dinge, die man erlebt hat, an sich vorbeiziehen lassen und dafür dankbar sein. Mit diesem Gebet, hat meine Mutter gesagt, seid ihr behütet in der Nacht. Ihr träumt dann gut.
    Meine Mutter war schon als junges Mädchen sehr gläubig, und sie ist es bis heute. Sie hat von klein auf fünfmal am Tag gebetet und besuchte an Feiertagen die Moschee. Ihr Glaube hat ihr sehr geholfen bei dem, was dann geschah. Die muslimische Religion war ihr aber schon vorher wichtig, als Richtschnur im Alltag. Es geht dabei um die grundlegenden Gebote, und die hat sie uns ganz früh beigebracht: Was uns nicht gehört, dürfen wir nicht anfassen, wenn wir nicht vorher gefragt haben. Ich soll nicht stehlen, ich soll nicht lügen. Das Gebot der Nächstenliebe hat sie uns mit ganz einfachen Worten erklärt: Was ich mir für mich selbst nicht wünsche, das soll ich auch keinem anderen Menschen wünschen. Meine Mutter hat ihre Nächstenliebe auch ganz praktisch ausgedrückt: Wenn mein Vater noch ein paar Blumensträuße vom Wochenende übrig hatte, dann hat sie mich in das neue Altersheim geschickt, das in Flieden gerade gebaut worden war. Ich solle die Blumen dort verteilen, die alten Leute würden sich freuen. Auch, dass ihr die Natur sehr wichtig war, hatte für meine Mutter mit ihrem Glauben zu tun. Sie hat uns ermahnt, nicht irgendwelche Pflanzen aus der Erde zu reißen. Das sind Lebewesen, hat sie gesagt, das tut ihnen weh. Wenn ich an deinen

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