Schmerzlos: Thriller (German Edition)

zur Seite geführt. Abbie war das schlechte Gewissen deutlich anzusehen.
    Als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt.
    Valerie prallte von hinten gegen mich. Als sie den Hubschrauber bemerkte, stockte ihr der Atem. Ein Soldat trat auf uns zu.
    Wir saßen in der Klemme. Außer ich konnte uns aus der Sache herausreden. Und reden konnte ich damals schon gut.
    »Ich kann alles erklären. Ich …«
    Im selben Moment spürte ich, wie mir Blut aus der Nase schoss und über die Oberlippe lief. Als ich es wegwischte, leuchtete meine Hand hellrot. Valerie schluckte, blickte zu Miss Shepard hinüber, die die anderen in den Bus scheuchte, und zeigte auf mich.
    »Sie hat gesagt, wir sollen mitgehen. Sie wollte uns viel bessere Zeichnungen zeigen.«
    Mir stand der Mund offen.
    Köpfe drehten sich in unsere Richtung. Der Soldat, Miss Shepard, meine gesamte Klasse, alle starrten mich an. Der Stein in meinem Magen wurde immer heißer. Valerie schlang sich die Arme um den Körper und begann zu weinen.
    »Ich kann nichts dafür.« Mit zitternden Lippen drehte sie sich zu mir um. »Warum hast du mich dazu gezwungen?«
    Meine Faust traf sie mitten ins Gesicht.
     
    Ich schwenkte den Wein in meinem Glas. »Valerie hat mir die Schuld daran geben, wie sie später ausgesehen hat.« Daran, dass ihr Gesicht so fett geworden war. »Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass sie eine Nasenkorrektur machen lassen wollte, die ich bezahlen sollte?«
    Jesse schnitt eine Grimasse. »Du hättest dich auf diplomatische Immunität berufen können.«
    Ein lauter Pfiff übertönte die Musik. Am anderen Ende des Raums stand ein Mann mit den Händen in den Hosentaschen und grinste mich an.
    »Na endlich«, sagte Jesse.
    Ich lachte und winkte dem Mann zu. »Tommy.«
    Er war immer noch so schlank wie früher. Zum ersten Mal seit unserer Abschlussfeier sah ich ihn in etwas anderem als in seiner Motorradkluft. Er trug ein Bowlinghemd, und seine braunen Augen blitzten unter einem lächerlichen kleinen Hut hervor. Tommy schob ihn sich aus der Stirn, lässig wie eh und je.
    Er schlenderte zu uns herüber und gab mir die Hand. »Hallo, Evan.«
    »Du schaust gut aus«, begrüßte ich ihn.
    Er schob den Ärmel seines Hemds hoch und zeigte mir ein Nikotinpflaster. »Der Beginn einer neuen Ära.«
    »Die Tabakfirmen werden reihenweise bankrott gehen.« Ich stellte ihm Jesse vor. »Freiheitskämpfer und außerdem mein Freund.«
    Tommy schüttelte ihm die Hand. »Cool. Und was machst du selber jetzt genau?«
    »Meistens kämpfe ich gegen die Staatsgewalt. Und du?«
    »Ich bin die Staatsgewalt.« Er kaute auf seinem Kaugummi herum. »Detective bei der Polizei von China Lake.«
    Der Ausdruck auf Jesses Gesicht wog die lange Fahrt mehr als auf.
    Am anderen Ende des Raums betrat Ceci Lezak die Bühne. Sie brachte die Band zum Schweigen und ergriff das Mikrofon. »Alle mal herhören. Bevor die Party zu ausgelassen wird, habe ich einige Preise zu vergeben.«
    Damit spielte sie wohl darauf an, dass die Footballmanschaft Tequila kippte und in weniger als einer halben Stunde Stühle durch die Luft fliegen würden. Ceci brachte ihre Rüschen mit fester Hand zur Räson.
    »Wir wollen ein paar wichtige Meilensteine in unserem Leben feiern. Es steht zwar schon alles in der Mappe, die ihr bekommen habt, aber einige Gäste möchte ich noch extra erwähnen.«
    Tommy beugte sich vor. »Hast du dich heute Abend schon geprügelt?«
    Ich lachte. Jesse beobachtete uns mit finsterer Miene. Aber er hatte nichts zu befürchten. Tommy war immer nur mein Schwarm gewesen, er war nie in mich verliebt gewesen. Außerdem hatte er alle paar Wochen die Freundin gewechselt.
    Ceci las von einer Karteikarte ab. »Vier Paare sind seit dreizehn Jahren verheiratet, daher mussten wir das Datum der Hochzeit entscheiden lassen.« Ihre Stimme klang angespannt. »Herzlichen Glückwunsch für die beiden am längsten verheirateten Mitglieder unserer Abschlussklasse, Wally und Abbie Hankins.«
    Abbie, die mitten im Raum stand, reckte die Arme in die Höhe und stieß einen Siegesschrei aus.
    Ceci wechselte zur nächsten Karteikarte. »Der Preis für den Mitschüler mit den meisten Kindern geht an Tommy mit fünf Stück.«
    Das gesamte Footballteam trampelte auf den Boden und klopfte auf die Tische, während die Spieler laut johlten. Ich sah Tommy überrascht an.
    Er steckte sich noch einen Kaugummi in den Mund. »Zweimal Zwillinge. Und zwei Exfrauen. Jetzt weißt du, warum ich mir das Rauchen nicht mehr