Schmerzlos: Thriller (German Edition)
nicht.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass er nicht gebremst hat?«
Gilbert sah mich bedauernd an, bevor er mir die bittere Pille verabreichte. »Richtig. Zumindest nicht auf dem Highway.«
»Sie meinen, er ist einfach von der Straße abgekommen?«
»Nasse Fahrbahn, hohe Geschwindigkeit, da kann so was schon passieren.«
»Mein Vater ist kein Raser.«
Wie gebannt starrte ich auf die Straße, während mir albtraumhafte Vorstellungen durch den Kopf geisterten. Wie mochte es sein, mit überhöhter Geschwindigkeit in diese Kurve zu gehen?
»Und wenn er ausweichen wollte? Einem Tier oder einem anderen Auto?«
Lily hob die Hände. »Keine voreiligen Schlüsse.«
»Falls er dabei mit den Reifen auf das Bankett geraten ist und …«
Gilbert schüttelte den Kopf. »Wenn er in einer solchen Kurve plötzlich ausgeschert wäre, hätten wir auf der Fahrbahn eigentlich einen entsprechenden Reifenabrieb entdecken müssen.«
»Aber völlig ausschließen lässt sich das nicht«, wandte Jesse ein.
»Nein. Nicht mit absoluter Sicherheit.«
»Dafür wissen wir mit absoluter Sicherheit, dass er irgendwo da draußen ist. Wir müssen ihn finden«, mischte ich mich ein.
Gilberts Miene war undurchdringlich, und seine Augen schimmerten so grün wie die Berge. »Ms. Delaney, welchen Eindruck machte Ihr Vater, als er Sie verließ?«
»Er hatte es eilig, nach San Jose zu kommen, weil er dort eine geschäftliche Besprechung hatte.«
Noch während ich das sagte, hörte ich den falschen Ton in meiner Stimme. Dad hatte es durchaus nicht eilig gehabt. Er war nervös gewesen, was mir im Nachhinein als schlechtes Zeichen erschien.
»Beschäftigte ihn irgendwas, das ihn möglicherweise abgelenkt hat? Irgendwelche Probleme?«
»Nein«, sagte ich.
»Ganz sicher?«
Meine Finger waren wie abgestorben vom kalten Wind, aber mein Gesicht brannte. Offenbar hatte dieser Gilbert unseren Namen in den Nachrichten gehört und kannte unsere Geschichte.
»Nehmen Sie es mir nicht übel«, fuhr er fort, »aber wir sprechen hier immerhin von Phil Delaney.«
Lily warf ihm einen warnenden Blick zu.
Jesse ließ mich los und richtete sich auf. »Deputy, das sind wilde Spekulationen ohne vernünftige Grundlage.«
»Ich will nur nichts übersehen. Im Augenblick können wir keine Möglichkeit ausschließen«, erwiderte Gilbert.
Ich wand mich innerlich. »Wollen Sie damit andeuten, er ist absichtlich über die Klippe gefahren?«
»Ich meine nur, dass er unter großem Druck stand.«
Lily verzog das Gesicht. »Gilbert …«
»Halten Sie sich bitte an die aktuellen Umstände«, sagte Jesse eisig.
Mich packte die Wut. »Sie denken, er hat Selbstmord begangen?«
Ich trat auf Gilbert zu, aber Jesse legte mir die Hand auf den Arm und hielt mich zurück.
»Glauben Sie mir, ich will die Situation für Sie nicht schwerer machen, als sie schon ist«, meinte der Deputy etwas freundlicher. »Aber im Augenblick dürfen wir tatsächlich nichts ausschließen. Hätten Sie vielleicht ein Foto von Ihrem Vater? Für die Rettungswacht.«
»Ja.«
Ich fummelte einen Schnappschuss aus meiner Brieftasche. Er war am Pier von Santa Barbara aufgenommen und zeigte uns vor dem saphirblauen Ozean. Mein Vater hatte den Arm um meine Schulter gelegt und sah mit seinem wettergegerbten Gesicht und dem weißen Haar auffallend gut aus. Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd. Ich bin eher ein jungenhafter Typ mit honigfarbenem Haar und sehe ihm bis auf die langen Beine nicht besonders ähnlich. Dafür habe ich von ihm meine Vorliebe für Whiskey aus Tennessee und sentimentale Countrymusik geerbt. Jesse hatte das Bild geschossen. Mein Vater blickte mit einer Gelassenheit in die Kamera, die geradezu provozierend wirkte. Ich lächelte neben ihm, wirkte aber leicht irritiert. Die beiden – Jesse mit seinen schlauen Sprüchen und mein Vater, der ihm immer eine Nasenlänge voraus sein musste – gingen mir mit ihrem Geplänkel bisweilen auf die Nerven. Damals wusste ich gar nicht, wie glücklich ich war. Das Bild stammte aus der Zeit, bevor die Gewalt unser Leben zerstörte. Bevor mein Vater seinen Ruf opferte, um Buße zu tun.
Ich reichte Gilbert das Foto. »Behalten Sie’s, solange Sie es brauchen.«
Das Team der Rettungswacht unten am Hang brüllte der Besatzung des Abschleppwagens zu, die Stahltrosse herunterzulassen. Gilbert entschuldigte sich bei uns und lief hinüber.
Lily runzelte die Stirn. »Tut mir leid.«
»So sind die Regeln«, sagte ich. »Du kannst ja nichts
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