Schmerzspuren
Stundenlang hab ich davor gesessen. Manchmal hat es Monate gedauert, bis es fertig war. Meine Mutter hat dann ganz vorsichtig durchsichtige Folie drüber geklebt und das Werk aufgehängt. Ich drehe ein Puzzle in der Hand. Richtig cool sieht es eigentlich von hinten aus. Einfach nur grau. Das wäre mal ein geiles Puzzle. Nur grau. Oder weiß. Oder blau. Das wäre mal eine Aufgabe. Ich hänge es wieder auf. Sieht echt gut aus. Ein bisschen crazy. Die Schlümpfe wandern in den Müll. In einer Schublade finde ich Nylonband. Ich knote ein Stück an jedes Auto und hänge sie an die Gardinenstange. Sieht gut aus. Leider klappern sie bei der leisesten Bewegung gegen die Fensterscheibe. Meine Mutter wird die Krise kriegen. Aber bis dahin kann es ja klimpern. In der Schublade habe ich nicht nur das Nylonband gefunden, sondern jede Menge Kleiner-Junge-Mist. Plastikfiguren, Kassetten, Aufkleber. Mit beiden Händen schaufel ich das Zeug in den Mülleimer. Ganz hinten liegt das Teppichmesser. Das bleibt, wo es ist. Ich bin müde. Aber in dieses Bettzeug kann ich mich nicht legen. Michael Ballack grinst mich dämlich von der Decke an. Ich will nicht mehr unter einem Fußballer schlafen. Wenn ich aus dem Schlafzimmer von meinen Eltern andere Bettwäsche hole, hört mich meine Ma. Sie wird innerhalb von 30 Sekunden neben mir stehen und jede Menge Fragen haben. Das brauch ich jetzt wirklich nicht. Ich zieh den Bettbezug ab, dreh ihn auf links und wurstel die Decke wieder rein. Jetzt kann sich Herr Ballack die ganze Nacht meine Steppdecke begucken.
Ich träume von Autounfällen. Vielen Autounfällen. Immer gerate ich dazwischen, werde eingeklemmt zwischen Blech, das sich überall in mich bohrt. Aber keiner sieht mich. Überall sind Scherben. Ich hebe welche auf, habe blutige Hände. Die Fahrer der Autos streiten miteinander und ich stehe zermatscht zwischen den Autos und sage nichts. Blaulicht beleuchtet die Szene. Irgendwann fahren alle wieder und ich bleib allein zurück. Und nichts tut mehr weh.
Ich hätte nicht gedacht, dass Lea zur Probe kommt. Ich hatte befürchtet, dass sie nach meiner Frage genug von uns, von mir hat. Hat sie offenbar nicht. Ich bin noch nervöser. Hatte mich so drauf gefreut, der Band meinen neuen Song zu zeigen. Jetzt hab ich Schiss. Vielleicht finden die andern »Feiner Schleimer« einfach kacke. Ich halte erst mal das Maul. Wir spielen ein bisschen vor uns hin, spielen immer wieder »Wir sind auf der Straße zu Haus«. In einer kurzen Pause platzt es aus mir raus.
»Ich hab noch einen Song geschrieben. Wollt ihr mal hören?«
»Nö«, sagt Tom.
Ich starre ihn an.
»Das war ein Witz, Ben. Ein Witz.«
Komischer Humor.
Ich fange an, den Text vorzulegen, und komme mir saudoof vor. Als würde ich ein Gedicht vortragen. Ich versuche, den Text irgendwie zu singen, und trommel dazu auf meiner Jeans. Das wirkt noch blöder. Lea nimmt mir den Zettel aus der Hand. Und sie singt es. Ganz leise. Und
auch ein bisschen schief. Aber es haut mich trotzdem fast um. Sie hat sofort eine Melodie dafür. Und es klingt ganz genau so, wie ich es im Ohr hatte. Ein bisschen wie Sprechgesang. Ein bisschen abgehackt, ein bisschen wütend und trotzdem weich.
Lea steht uns gegenüber und singt den Refrain.
Du bist ein feiner Schleimer,
auf deiner fiesen Fährte
fehlt dir leider jede Härte.
Du bist ein feiner Schleimer
Und dein ewiges Jasagen
erstickt schon lange alle Fragen.
Sie ist ganz konzentriert. Als sie aufblickt, sieht sie ein bisschen ängstlich aus. Aber auch wie immer ein bisschen arrogant.
»Nicht schlecht«, sage ich und grinse sie an. Sie grinst schief zurück.
»Willst du mir hier meinen Job wegnehmen? Muss jetzt ich während der Proben auf dem wackligen Stuhl sitzen?«, fragt Max im Scherz. Ich würde das an seiner Stelle nicht so lustig finden.
»Quatsch. Ich fand nur, dass Ben das komisch vorgetragen hat. Mir gefällt der Song übrigens.« Sie guckt mich schnell an und setzt sich dann auf den Stuhl.
»Spielt doch mal.« Sie ist ein bisschen rot geworden.
»Sing doch mal.« Ich gucke sie direkt an.
»Was soll das?« Max ist nicht mehr so amüsiert.
»Reg dich nicht auf. Du bist ein super Sänger. Aber
vielleicht wäre es nicht doof, wenn Lea bei einigen Songs mitsingen würde. Oder ihr könntet abwechselnd singen. Oder Lea macht mal den Background. Das war noch das i-Tüpfelchen, finde ich. Ein Mädchen in der Band macht sich vielleicht ganz gut.«
Mir fällt auf, dass ich über Lea rede, als
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