Schmerzspuren
spielen«, gifte ich zurück.
»Tom hat recht. Ich finde unsere neuen Songs ja auch gut, aber für ein Publikum ist das noch nichts«, findet Benny.
Ich glaub, ich spinne. Dann sollen sie doch verschwinden.
»Haut doch ab. Ihr habt ja eh keinen Bock auf gute Musik, ihr seid doch nur hier, weil ihr sonst keine Freunde habt. Dann such ich mir eben andere Leute. Schlechtere werd ich wohl kaum finden.«
Ich reiße die Tür auf.
»Hier hat der Maurer das Loch gelassen.«
Lea mischt sich ein.
»Ben, im Ernst. Wir sind gut. Aber so gut vielleicht noch nicht. Vielleicht sollten wir einfach noch ein Jahr warten. Dieser Contest wird jedes Jahr angeboten.«
»Ein Jahr? Wer weiß, was in einem Jahr ist? Dann haben die beiden Clowns da bestimmt eine andere Ausrede. Einen Pickel am Arsch oder so,.«
Benny und Tom funkeln mich wütend an.
Max klopft auf sein Mikro.
»Schluss jetzt. Ihr zankt euch wie zickige Mädchen. Wir melden uns an, und wenn wir kurz vorher merken, dass das eine Blamage wird, melden wir uns wieder ab.«
»Oder wir nennen uns ›New Carambolage‹«, grinst Tom.
Er guckt ein bisschen stolz. Und ich schlucke die Bemerkung runter, dass sich seine Riffs manchmal echt wie ein Autounfall anhören.
Die Probe wird gut. Das Gewitter hat ein bisschen die Luft gereinigt. Lea wird immer besser. Ich finde es etwas schade, dass ich sie beim Singen immer nur von hinten sehe. Obwohl das auch nicht das Allerübelste ist. Wir verabreden, ab jetzt zweimal in der Woche zu proben. Auch wenn nicht immer alle können. Wir brauchen ja ohnehin noch ein paar Songs mehr. Gut wäre auch, wenn wir eigene Plakate mit unserem Bandnamen hätten.
Ich bin schon fast eingeschlafen. Nur einen klitzekleinen Moment hätte es noch gedauert, da habe ich die Idee. Wir machen uns unsere eigenen Shirts für den Auftritt. Wir kaufen langärmelige weiße Hemden und machen da so ein Schnittmuster rein. Das könnte ich super mit Lea zusammen machen. Am liebsten würde ich sie gleich anrufen. Um kurz vor zehn ist das aber vielleicht nicht so eine tolle Idee. Doch morgen früh mach ich es. Vielleicht können wir uns ja sofort am Nachmittag treffen.
Unter der Dusche fällt mir ein, dass ich ihre Telefonnummer gar nicht habe. Mit Nachnamen heißt sie, glaube ich, Brinkmann. Aber wie viele Brinkmänner stehen wohl im Frankfurter Telefonbuch? Fuck. Max wird ihre Telefonnummer haben. Oder er weiß zumindest, wo sie wohnt. Aber wenn ich Max um sieben Uhr morgens anrufe und nach Leas Telefonnummer frage, wirkt das wohl ziemlich peinlich. Um halb zehn frage ich mich, ob es immer noch peinlich wirkt. Max will bestimmt wissen, warum ich die Nummer haben will. Und wenn er es nicht fragt, wird er sich irgendwas denken. Wenn ich aber bis zur nächsten Probe warte und Lea dort frage, kriegen es die Jungs mit. Und wollen bestimmt mitmachen oder brüllen meine Idee nieder. Da habe ich keine Lust drauf. Am Nachmittag drehe ich Endlosschleifen mit meinem Board in der Halle. Die Musik dröhnt auf meinen Ohren, ich ziehe Kurve um Kurve, rolle wie auf Schienen durch den Staub. Als ich am Abend im Bett liege, fühle ich noch die Bewegung in mir. Alles taumelt, kreist. Ich habe das Gefühl zu zerfließen. Mich aufzulösen. Es klopft in meinen Ohren. Unregelmäßig. Das macht mich fertig. Da ist kein Rhythmus drin. Ich setze mich auf. Schnapp mir eine Zeitung, die vorm Bett liegt. Nach drei Minuten hab ich sie durch. Blätter noch mal von hinten nach vorn. Ich würde jetzt gern mit jemandem reden. Aber irgendwie fällt mir niemand ein. Fast automatisch gehe ich zum Schrank. Ganz unten, ganz hinten liegt das schwarze Handtuch. Das ist super - dafür. Da sieht man die Flecken nicht drauf. Nur an manchen Stellen ist es hart. Verkrustet, verklebt. Ich setze die Klinge an. Ganz ruhig. Ich ziehe eine Gerade. Ich habe früher immer
gedacht, dass Blut viel heller ist. Mittlerweile weiß ich, dass Blut dunkelrot ist. Manchmal fast bräunlich oder violett. Das Klopfen in mir wird langsamer, pendelt sich ein. Findet einen Rhythmus. Ein ruhiger Beat. Ich weiß, dass ich mit dem Scheiß aufhören muss. Aber immerhin besaufe ich mich nicht regelmäßig und rauche auch nicht. Außerdem schlage ich mich auch nicht. Auch niemand anderen.
»Ist für dich.«
Meine Mutter hält mir den Hörer hin.
Ich melde mich mit »Hallo«, habe aber noch ein halbes Honigbrötchen im Mund und klinge dementsprechend stumpf.
Am andern Ende höre ich eine kurze Lache.
»Hast du eine Wolldecke
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