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Schmerzspuren

Titel: Schmerzspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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runter. Doch die Finger entscheiden sich um, nehmen sich einen Stift. Der Text kommt von allein.
    Bist du immer lieb und nett?
Gehst du immer früh ins Bett?
Sagst du immer: Ja, ich will,
und die eigne Meinung ist ganz still?
     
    Du bist ein feiner Schleimer,
auf deiner fiesen Fährte
fehlt dir leider jede Härte.
     
    Sagst du, was sie hören sollen?
Ohne selber was zu wollen?
Bist du glitschig wie ein Fisch
und ballst die Faust nur unterm Tisch?

     
    Du bist ein feiner Schleimer,
auf deiner fiesen Fährte
fehlt dir leider jede Härte.
     
    Du bist ein feiner Schleimer
Und dein ewiges Jasagen
erstickt schon lange alle Fragen.
    Ich bin richtig atemlos, als der Text fertig vor mir liegt. Am liebsten würde ich sofort alle zur Bandprobe bestellen. Ich möchte hören, was die andern dazu sagen. Ob sie es auch so gut finden. Ich will Lea das singen hören. Den ganzen Vormittag habe ich den Text im Kopf, höre schon einen hämmernden Rhythmus dazu. Meine gute Laune hält bis zum Nachmittag. Eigentlich will ich Hausaufgaben machen. Kurzfristig entscheide ich mich um, beginne die Seite mit »He«. Ich überlege nicht weiter, sondern schreibe: »Du wirst es nicht glauben, die Band ist ins Rollen gekommen. Wir haben schon zwei eigene Songs. Die sind der Hammer. Unser Sänger ist auch gut. Vielleicht haben wir bald noch eine Sängerin dazu. Die hat echt was. Nicht so ein Girlie wie die Trusen aus unserer Klasse. In unserem Garten steht jetzt ein Pool, in dem die nächsten Schwimm-Europameisterschaften stattfinden könnten. Vom Aufpumpen hab ich noch immer Arme wie Popeye. Übrigens hab ich auch meine eigene Skateboardhalle unten am Industriehafen. Echt cool. Komm aber nur noch selten zum Skaten. Die Band ist jetzt wichtiger. Vielleicht haben wir ja schon bald irgendwo unsern ersten Auftritt. Wir heißen übrigens >The New Cars<. Wenn wir erst mal unsere erste
Tournee haben, ist das doch ein geiles Motto. Die >New Cars< machen auch in deiner Stadt einen Boxenstopp. Vorher brauchen wir natürlich einen Manager, der alles auf die Beine stellt. Du kommst für diese Position ja nicht mehr infrage. Schade eigentlich. Du hast immer so seriös gewirkt. Hast du eigentlich dein Klinsmann-Poster mitgenommen oder hängt es noch in deinem alten Zimmer? Bin neulich da gewesen, konnte aber nichts sehen. War irgendwie komisch.«
     
    Ich nehme den Zettel. Der Rausch weicht. Ich zerknülle ihn, zerreiße ihn. Kleiner und kleiner. Konfetti ist größer. Was soll der Scheiß? »War irgendwie komisch.« Wieso schreibe ich nicht noch, dass ich mich ja soo einsam fühle und er mir fehlt? Ich geh runter in den Keller, steh vor der leeren Fläche. Mist. Das Schlagzeug ist ja weg. Hatte ich für einen langen Moment vergessen. Ich würde jetzt gern die Fußmaschine bearbeiten und richtig laut sein. Ich haue gegen die Wand, stürme wieder nach oben, ziehe meine Badehose an und tauche ab. Ich kraule, bis mir die Arme wehtun und schon ganz schwer sind. Als meine Mutter in den Garten kommt, überrede ich sie zu einem Wetttauchen. Sie fängt an und ist echt nicht schlecht. Dann komme ich. Ich hole tief Luft und tauche los. Irgendwann wird es immer enger in mir. Punkte tanzen vor meinen Augen. Alles in mir schreit. Nach Sauerstoff. Ich fühle, wie meine Mutter ins Becken springt, mich rumreißt und brüllt: »Ben! Alles in Ordnung?«
    Ich mache mich ganz schwer und schlapp. Lasse Arme und Beine hängen. Mein Gesicht dreht sich wieder nach
unten. Meine Mutter reißt meinen Kopf hoch, zerrt mich zur Leiter. Ich atme unhörbar flach. Nur ganz wenig, dass der Brustkorb sich nicht bewegt. Nach ewigen Zeiten hat meine Mutter mich über den Rand gehievt und ächzend die Treppe runtergetragen. Sie haut mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ziemlich fest sogar. Und sie heult. Heult immer wieder meinen Namen. Als sie mir plötzlich die Nase zuhält und offenbar mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung anfangen will, mach ich die Augen auf.
    »Ich glaube, ich hab gewonnen, oder?«
    Sie springt auf. Schlägt die Hände vors Gesicht. Schlägt mir dann noch mal - noch fester - ins Gesicht und rennt rein. Ich bleibe einfach auf der Wiese liegen, lasse mich von der Sonne trocknen.
    Beim Abendessen sieht sie immer noch verheult aus. Ich gucke am besten gar nicht hin. Sie sagt auch nichts. Und diese Stille kann ich nicht überhören. In meinen Ohren wird das Klappern des Bestecks immer lauter. Immer klirrender. Ich umklammere mein Messer mit der linken Hand. Mit der rechten stopfe

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