Schmerzspuren
sich total falsch an. Aber ich mach es natürlich nicht. Hinterher heißt es, ich bin scharf auf Johanna.
Allerdings weiß ich schon in der nächsten großen Pause, dass Katharina mich fertigmacht. Allein dass sie permanent den Füller wechselt! Mal schreibt sie mit Grün, mal mit Rosa. Und der Füller, den sie gerade nicht braucht, wird fein säuberlich ins Etui geschoben. An seinen festen Platz. Weil man diese alberne Tinte nicht mit Tintenkiller auslöschen kann, hat Katharina kleine weiße Aufkleber. Wenn sie sich verschrieben hat - was ziemlich oft passiert -,
knibbelt sie mit ihren abgekauten Fingernägeln an dem Aufkleber rum, bis die Folie sich endlich löst. In der zweiten großen Pause gehe ich zu ihr.
»Du, wenn du willst, kann Johanna auf meinem Platz sitzen und ich geh nach hinten. Dann könnt ihr weiter nebeneinander sitzen.«
Sie schüttelt den Kopf. Ihr Pferdeschwanz streift mein Ohr.
»Quatsch, Ben. Ist doch super so.«
»Johanna sieht aber ziemlich einsam aus da hinten«, versuche ich es weiter.
»Tja.«
Das ist ihr gesamter Kommentar. Katharina ist Johannas Freundin. Dachte ich. Ich drehe mich weg. Lasse Katharina stehen. Ätzende Kuh.
Mit meiner Ma habe ich einen ganz guten Deal gemacht. Ich esse ab sofort weiter in der Schule, komme nach Hause, mache Schularbeiten und darf dann los. Ich bin oft in der Lagerhalle. Die scheint nicht benutzt zu werden. Mit Hütchen habe ich mir einen Parcours aufgebaut. Den Wecker an meiner Uhr habe ich so eingestellt, dass er um zwanzig vor sieben piept. Dann muss ich spätestens los, um pünktlich zu Hause zu sein. Nach und nach deponiere ich Klamotten in der Halle. Ganz hinten gibt es ein Büro. Da ziehe ich mir die Skater-Sachen an, die schon völlig versifft sind. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich das Piepen der Uhr wirklich weckt. Aus einer anderen Welt holt. Wenn die Uhr piept, fällt die Tür zu diesem Raum mit lautem Krachen ins Schloss.
»Hast du eigentlich Philipp die Fotos geschickt?«
Bis zu dieser Frage war das Sonntagsfrühstück mit meinen Eltern nett. Ich hatte eine fette Portion Rührei verdrückt und ein Brötchen mit Nutella. Diese Frage beendet meinen Appetit.
»Klar«, lüge ich.
Ich kann nicht gut lügen. Meine Mutter weiß das. Sie guckt mich nur an, legt den Kopf leicht schräg. Und wartet.
Ich gucke zurück und verliere. Verliere die Geduld.
»Okay. Du hast gewonnen. Ich habe ihm nicht geschrieben. Ich habe ihm keine Fotos geschickt. Weil ich das albern finde. Wenn ich einen Brieffreund wollte, würde ich mir einen in einem interessanten Land suchen. Das ist im Internet überhaupt kein Problem. Ein Klick und du hast einen Brieffreund in Kanada oder Südafrika. Das macht Sinn. Dann kann man sich mal gegenseitig besuchen und so. Philipp als Brieffreund finde ich extrem blödsinnig.«
»Er ist nicht dein Brieffreund. Er ist dein Freund«, behauptet meine Mutter.
»Er war mein Freund. Jetzt ist er weg. Das war’s.«
»Fehlt er dir nicht?«
»Mama, ich hatte keine Amputation. Wenn ich einen Arm oder ein Bein verloren hätte, dann würde mir was fehlen.«
Ich geh auf mein Zimmer. Lasse die Jalousie runter und schicke das Licht raus. Die Sonne malt Streifen an die Wand. Einer fällt ausgerechnet auf das Bild von Philipp und mir am See. Letztes Jahr waren wir dort zelten. Der Urlaub war super. Aber war eben.
Tom und Benny sitzen auf dem Boden und kauen im Duett an Stiften.
»Das sieht noch peinlicher aus als Nägelkauen«, sage ich. Ich habe eben noch was von oben zu trinken geholt. Meine Stöcke liegen schon auf meinem Schlagzeug.
»Wir wollen einen neuen Song schreiben«, klärt Benny mich auf.
»Aber wozu brauchen wir einen Text? Wir haben doch eh keinen Sänger«, werfe ich ein.
»Wir haben keinen Bock, immer die gleichen Songs instrumental runterzuschrubben. Und wenn wir bald einen Sänger haben, braucht der Material«, behauptet Tom.
»So wie du spielst, klingt es wirklich nach Schrubben. Ein neuer Bass allein macht noch keinen guten Bassistene, gifte ich zurück.
Es tut mir sofort leid. Tom hat sich echt verbessert in den letzten Monaten. Ich lenke ein.
»Was soll das denn für ein Song werden? Schon’ne Idee?«
Ich drehe den Zettel, der vor ihnen auf dem Boden liegt, zu mir um.
»Komm mit mir auf den Mond - eine Reise, die sich wirklich lohnt«, steht da.
»Das ist der Anfang des Refrains«, klärt mich Benny auf.
»Wir singen auf Deutsch?«
Ich bin ein bisschen fassungslos.
»Deutsch ist
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