Schmerzspuren
noch dankbar sein? Vielleicht sollte dein Skateboard mal ein paar Tage Pause machen.«
»Das kannst du nicht machen. Das habe ich zum Geburtstag bekommen.«
»Stell dich nicht so an. Sei doch dankbar. Immerhin stelle ich nicht dein Schlagzeug zum Sperrmüll an den Straßenrand.«
Ihre Augen funkeln. Ich kann sie ja sogar verstehen, bin ja selber maßlos enttäuscht. Schließlich kann ich sie zu einem Deal überreden. Wenn die nächste Mathearbeit nicht mindestens eine Zwei ist, darf sie mein Skateboard für eine Woche wegschließen.
»Aber nicht selbst fahren. Das ist nur bis 70 Kilo zugelassen«, sage ich und grinse sie an.
Sie tut wütend, lächelt jedoch zurück. Doch irgendwie müde. Das Funkeln ist weg. Ich weiß nicht genau, ob sie durch mich durchguckt oder ob sie in mir einen riesigen Zellhaufen sieht. Wie unter ihrem Mikroskop, wo sich immer alles genau so entwickelt, wie sie es gerne hätte. Da ist sie Gott und schafft Leben, wie es ihr gefällt.
Mein neuer Platz in der Klasse gefällt mir immer besser. Keiner, der mich nervt. Kein Geschlürfe, kein manisches Etui-Gehabe. Keiner, der mich anspricht. Ich versuche immer, an Katharinas Rücken vorbeizusehen. Nur manchmal habe ich das Gefühl, als würden alle andern auch an mir vorbeisehen. In den kurzen Pausen bleibe ich oft einfach sitzen, lese ein bisschen oder blättere in den Schulbüchern. Ich erschrecke fast, als Johanna vor mir steht. In der Hand hat sie eine Karte mit einer aufgeplatzten Grillwurst drauf.
»Hier.«
Ich nehme die Wurst und lese hinten, dass ich zu ihrem Geburtstags-Grillen eingeladen bin.
»Ihr habt doch gar keinen Garten«, wundere ich mich und es klingt irgendwie doof.
»Mein Vater grillt auf dem Balkon. Das machen wir öfter.«
»Super.«
Klingt total ätzend.
»Kommst du?« Ihr Gesicht hat die Farbe von Ketchup angenommen. Passt gut zu der Wurst.
»Klar.«
Dann fällt mir ein, dass Katharina bestimmt auch da sein wird. Und ich schiebe ein »Wenn ich kann« hinterher.
Ich hab null Bock. Aber ich kann nicht nur am Samstag. Ich muss sogar. Meine Mutter kennt Johannas Mutter von was weiß ich wo. Sie weiß, dass ich eingeladen bin, und hat sogar ein Geschenk besorgt. Johanna braucht ewig, bis sie das pinkfarbene Papier entfernt hat. Wahrscheinlich wird hier auch Geschenkpapier wiederverwendet. Wie bei uns. Grässlich. Als sie dann einen durchsichtigen Kasten in der Hand hält, wird mir ganz schlecht. Darin sind eine Nagelpfeile, Nagellack und lustige Aufkleber - wahrscheinlich auch für die Fingernägel. Johanna freut sich ein Loch in ihren speckigen Bauch. Mir wird leicht übel. Wieso hat meine Mutter nicht gleich einen String-Tanga gekauft? Mirco lacht sich kaputt.
»Ben, du bist echt ein Frauenversteher.«
»Ich dachte einfach, dass Augen auskratzen beim nächsten Zickenkrieg damit mehr Spaß macht«, schleudere ich
ihm entgegen und geh auf den Balkon. Vielleicht kann ich dem Vater ja beim Grill helfen.
Der Grill entpuppt sich als Elektrogrill. Das ist so was wie Bratpfanne für draußen. Der Spaßfaktor liegt bei null. In Johannas Zimmer läuft schlechte Musik auf einer schlechten Kompaktanlage. Die Chips schmecken, als wäre die Tüte letzte Woche geöffnet worden. Katharina und ich gucken völlig verkrampft aneinander vorbei. Ich schließe mich für eine Viertelstunde auf dem Klo ein, lasse alle drei Minuten die Spülung rauschen, verkünde dann, dass ich krank sei, und bin weg. Hier gehöre ich einfach nicht hin.
Vor dem Haus, in dem Philipp gewohnt hat, werde ich langsamer. Lasse das Board ausrollen. Auf dem Hinweg hatte ich extra Stoff gemacht, hatte gar nicht hingeguckt. Die Wohnung steht noch leer. Die Stelle unter dem Baum, wo unser riesiges Indianerzelt gestanden hat, ist noch gut zu sehen. Der Boden ist braun. Von Gras keine Spur. Zögernd gehe ich durch den Garten. In der Wohnung unten links läuft lautstark ein Fernseher. Unten rechts hat Philipp gewohnt, von seinem Zimmer ging eine Tür direkt in den Garten. Das war super. Wir konnten vom Bolzen zwischen den Beeten direkt rein, um ein bisschen am PC zu daddeln oder so. Bei uns zu Hause muss man erst durchs Wohnzimmer, dann in den Flur, dann die Treppe hoch. Viel Weg und viel Gelegenheit für meine Mutter, ihr ewiges »Putzt euch die Schuhe ab« loszuwerden. Die Tür zu Philipps Zimmer ist natürlich zu, ein schwarzes Loch. Ich würde echt gern reingehen. Mal riechen, ob es da noch
so riecht. Vielleicht sind ja auch noch ein paar Poster an
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