Schmerzspuren
bisschen genervt haben mich nur ein paar ältere Jungs, die laut »Schwulise« und so einen Mist rüberriefen. Philipp und ich haben immer so
getan, als würden wir es nicht hören. Aber doof war es trotzdem.
Das ist jetzt nicht mehr mein Problem.
Ich gehe ins Bett, ehe es richtig dunkel wird. Wirklich müde bin ich nicht. Aber richtig wach auch nicht. Eine Hand habe ich unter der Matraze. Da habe ich das Teppichmesser versteckt. Kühl liegt der Schaft in meiner Handfläche.
Ich träume davon, dass ich unter einem Floß hertauche. Das Floß hört gar nicht mehr auf. Immer, wenn ich nach oben will, ist da das Floß.
Kurz vor drei. Meine Mutter ist immer noch nicht da. Meinen Milchshake habe ich längst ausgetrunken. Wenn ich jetzt noch am Strohhalm sauge, klinge ich wie Katharina. Um halb wollte meine Mutter hier sein. Sie ist der Meinung, dass ich ein paar neue T-Shirts brauche. Direkt nach ihrer Arbeit wollten wir uns in der Eisdiele treffen, um shoppen zu gehen. Die Arbeit scheint länger zu dauern. In der Zeit hätte ich es auch mit dem Board in die City geschafft und nicht den blöden Bus nehmen müssen. Drei Uhr piept meine Uhr. In mir flattert es. Keiner hier sitzt allein. Ich fühle mich abgesondert. So nackt und bloß. Es ist einfach total unangenehm. Ich harre aus, halte aus. Die Eiskarte samt Preisen kenne ich schon auswendig. Ich greife nach einer Zeitung, die auf dem Tisch liegt. Eines der Anzeigenblätter, die bei uns zu Hause direkt vom Briefkasten in den Altpapierstapel wandern. In der Stadt war offenbar Kirmes. Im Tierheim war Tag der offenen Tür. Plötzlich bin ich bei den Kleinanzeigen. Bei »Musik«.
Bei »Band gesucht. Singen kann ich (15, M.) selber. Bitte im Jugendhaus am Park melden.«
M.? Was soll das denn heißen? Männlich? Mädchen? Monster? Ist das wichtig? Da ist jemand, der eine Band sucht. Wieso, verdammt, bin ich nicht eher auf die Idee gekommen, mal in so einem Anzeigenblatt zu gucken? Jugendhaus am Park? Wo ist das denn? Ich werde ganz hektisch, winke dem Kellner.
»Wo ist das Jugendhaus am Park?«
Der Italiener guckt interessiert und desorientiert.
»Weiße nich. Wolle zahlen?«
»Ja, bitte.«
Soll meine Ma doch bleiben, wo sie will. Von mir aus sucht sie allein irgendwelche Shirties aus. Oder kauft sich selber welche.
Um zwanzig nach drei summt mein Handy. Natürlich meine Mutter. Natürlich will sie jetzt wissen, wo ich bin und was das soll und so. Natürlich gehe ich nicht ran. Brauch ich jetzt echt nicht. Das Jugendhaus ist nicht weit. Behauptet zumindest ein Taxifahrer, den ich anhaue.
Die Gegend ist schlicht. Aber zumindest nicht am Arsch der Welt. Quasi zwischen Innenstadt und Ostend, wo wir wohnen.
Mein Handy summt schon wieder. Die ist aber auch penetrant. Ich geh ran.
»Ben, wo bist du? Wir wollten uns in der Eisdiele treffen.«
»Stimmt. Um halb drei.«
»Es ist ein paar Minuten später geworden. Tut mir leid. Du scheinst manchmal zu vergessen, dass ich auch noch
berufstätig bin. Da kann einfach schon mal was dazwischenkommen. Wo bist du?«
»Auf dem Weg nach Hause. Übrigens sind 30 Minuten mehr als ein paar Minuten. Wie wäre es, wenn du mal vorher anrufst, um mir deine Verspätung mitzuteilen? Oder kann man mich einfach so eine halbe Stunde in der Gegend rumsitzen lassen? Bind mal einen Hund eine halbe Stunde vor dem Supermarkt an. Da kriegste gleich Ärger mit dem Tierschutzverein.«
Meine Stimme bebt leider. Ich warte nicht ab, was sie sagt, sondern leg auf.
Das Jugendhaus war mal ein schönes Haus. Das ist allerdings ein bisschen her. Hundert Jahre oder so. In der Auffahrt kicken ein paar Jungs, drinnen sieht es nach Sperrmüllsammlung aus. Um drei verschiedene Tische stehen zwölf unterschiedliche Stühle. Ein altes Sofa hält sich auch nur noch mühsam auf den Beinen. Ein paar Leute werfen Dartpfeile, andere hängen einfach ab. Eine Frau ohne Schuhe, dafür mit vielen Haaren sieht nach Jugendhaus-Aufpasserin aus. Ich halte ihr die Anzeige hin.
»Wissen Sie, wer die Anzeige aufgegeben hat? Hab ich heute in der Zeitung gesehen.«
Sie stutzt, überlegt.
»Die ist doch bestimmt schon vier Wochen alt.«
Mist. Ich hab gar nicht darauf geachtet, von wann die Zeitung war.
»Ja und? Sucht dieser Sänger oder diese Sängerin noch?«
»Die Annonce war von Max. Der ist heute nicht da. Ich kann ihm ja deine Nummer geben.«
Immerhin weiß ich jetzt schon mal, dass M für Männlich steht. Super. Auf eine Zicke hätte ich eigentlich auch
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