Schmetterball
Zeile las sie Lennarts Namen.
Linh musste nicht lange überlegen, um den Sinnder Buchstaben zu entschlüsseln: »N« wie Niederlage und »S« wie Sieg. Moritz hatte 50 Euro auf den Turniersieg von Lennart gesetzt! Sie konnte sich zwar nur schwer vorstellen, dass man in einem offiziellen Wettbüro
auf den Sieger eines Schülerturniers setzen konnte, aber der Bullige sah auch nicht gerade wie ein offizielles Wettbüro aus.
Der Tätowierte schaute sich um. Linh duckte sich unter der Treppe schnell weg, behielt ihn aber im Auge. Offenbar schien er
jemanden zu suchen. Vielleicht wartete er? Sie erhielt postwendend die Antwort auf diese Frage.
Ein Typ, ebenso breit wie der Tätowierte, allerdings mit schwarzen Locken, in einer Bomberjacke und einer Militärhose gekleidet,
ging auf den Tätowierten zu. Obwohl watscheln eigentlich der bessere Ausdruck gewesen wäre, dachte Linh. Der Typ schob seinen
recht üppigen Bauch voran, seine Füße zeigten beim Gehen auf seltsame Weise nach außen, sodass es fast den Eindruck machte,
ein Pinguin in Militärklamotten watschelte auf den Tätowierten zu.
Die beiden begrüßten sich, indem sie ihre Hände ineinanderschlugen, als wollten sie zu einem Armdrücken-Wettbewerb antreten.
»Alles okay, es gibt keine Probleme!«, teilte der Tätowierte dem Pinguin mit. Zum Glück in einer Lautstärke, als wären die
beiden die einzigen Bewohner auf dem Erdball. Linh konnte sie ohne Weiteres verstehen.
Dann gingen sie zum Spielbereich. Auf der Schwelle zum Eingang entdeckte Linh Kevin. Beide Typen reckten ihm einen erhobenen
Daumen entgegen und grinsten. Im gleichen Moment setzte auch Kevin ein triumphierendes Grinsen auf und begab sich direkt zum
Tisch des Wettkampfbüros.
Was will er dort?,
fragte sich Linh. Kevin war doch gegen Lennart ausgeschieden, nahm also am Turnier überhaupt nicht mehr teil. Das Wettkampfbüro
war aber ausschließlich für Fragen der Spielabläufe zuständig.
Linh sah auch, wie die Mitglieder der Turnierleitung die Köpfe zusammensteckten und über etwas berieten. Einer von ihnen griff
gar zu einem Handy und begann zu telefonieren. Was ging dort vor sich? Linh fand keine Erklärung dafür.
Währenddessen behielt Michael den Hageren im Auge. Unauffällig begleitete er den Jungen bis zu einem Geldautomaten zwei Straßen
weiter. Er beobachtete,wie der Junge Geld aus dem Automaten zog. Wie viel, konnte Michael höchstens raten. Auf jeden Fall war ein brauner Schein
dabei. Das bedeutete, er hatte mindestens 50 Euro abgehoben. Mit verbittertem Gesichtsausdruck steckte der Hagere das Geld in sein Portemonnaie.
Michael blieb ihm auf den Fersen. Der Weg führte direkt zurück zur Halle. Der Hagere wirkte geistig völlig abwesend. Als ob
er die ganze Zeit über irgendetwas grübelte, das ihn davon abhielt, seine Umgebung wahrzunehmen. Um ein Haar wäre er beim
Überqueren der Straße sogar einem Auto vor den Kühler gelaufen. Glücklicherweise hatte der Fahrer wohl so etwas wie eine Vorahnung
gehabt und rechtzeitig gehupt. Kurz darauf hätte der Hagere fast einen Mülleimer umgerannt, als er zum dritten Mal prüfte,
ob sein Portemonnaie auch wirklich immer noch in der linken Hosentasche saß.
In der Halle ging er direkt zum Eingang des Spielbereichs. Dort stand der bullige Typ, der den Hageren zuvor begleitet hatte,
mit einem ebenso stämmigen Typ in Militärklamotten.
Diesmal war es umgekehrt: Michael schlich hinter dem Hageren her und gab Linh Handzeichen, nachdem sie ihn wahrgenommen hatte.
Linh begriff:Sie sollte jetzt die weitere Beobachtung übernehmen. Doch Linh winkte Michael zu sich heran.
Michael wunderte sich, gehorchte aber und fragte: »Was ist los? Was soll ich hier?«
»Stell dich mal vor mich«, antwortete Linh ihm leise.
»Hä? Wieso?«
»Die dürfen mich auf keinen Fall entdecken!«, zischte sie ihm ins Ohr und zeigte dabei auf den Tätowierten und den Pinguin.
Schnell holte Linh ihre klitzekleine Digitalkamera hervor, die nach Michaels Meinung hervorragend zu Linhs Mini-Bonsai-Bäumchen
passte. Viele Dinge bei Linh wirkten, als hätte sie sie aus einer Puppenstube entliehen.
Linh stellte die Kamera auf Bereitschaft, indem sie mit dem Fingernagel einen mikroskopisch kleinen Knopf drückte, und nahm
das Geschehen unauffällig ins Visier. Sie war im Vergleich zu Michael so klein, dass sie mit der Naheinstellung zwischen seiner
linken Achsel und seinem linken Arm hindurch genau beobachten konnte,
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