Schmetterlingsjagd (German Edition)
seinen Namen ausspreche. «Und auf dem Weg zur Bushaltestelle bin ich hier vorbeigekommen. Ich wohne in Lakewood.» Jetzt schmerzen meine Handflächen.
«Sie sollten hier nicht herumlaufen», sagt Flack streng. «Die Gegend ist gefährlich. Sie sind eine junge Frau, die allein unterwegs ist. Sie sind eine wandelnde Zielscheibe.» Er wirft mir einen Enttäuschter-Vater-Blick zu. «Sie gehen noch zur Schule, hoffe ich?»
«Ich gehe in die elfte Klasse der George Washington Carver Senior High.» Die Worte klingen irgendwie lustig. Als wären sie gar nicht meine. Mein Blick bleibt an einem Fussel auf Flacks rechter Brusttasche hängen. Er verhöhnt mich und durchbohrt jede einzelne meiner Körperzellen – er stört die Harmonie – und schreit einfach danach, entfernt zu werden, damit die Uniformjacke wieder sauber ist. Ausgeglichen.
Meine rechte Hand schießt nach vorn, um den Fussel zu greifen, aber bevor sie ihn erreicht, packt Flack meine Hand, und ich kann nicht. Kann ihn nicht erreichen. Enttäuschung wallt in meiner Brust auf, in meinen Händen; ich stoße einen Schrei aus und beginne zu zittern. Der Fussel ist immer noch da. Er muss entfernt werden.
«Hey. Hey», sagt er leise, lässt meine Hand wieder los und legt sie an meine Seite. Er versucht meinen Blick aufzufangen. Ich konzentriere mich auf meine Schnürsenkel: sechs Kreuze. Sie beruhigen mich ein wenig. «Ich weiß, dass Sie gerade einen Schock erlitten haben, aber Sie müssen versuchen, ruhig zu bleiben. Tun Sie’s für mich, okay?»
«Ich wollte – ich wollte es nur richten», versuche ich zu erklären. «Ich konnte – es gehört einfach nicht dahin – ich konnte es nicht richten.»
Er lacht angespannt, streift den Fussel selbst von seiner Jacke und hält ihn hoch, als ob er eine Pistole wäre, die er fallen lassen will, als ob er mir beweisen will, dass der Fussel mir nichts tun kann. Er lässt ihn fallen, und der Fussel schwebt in die Dunkelheit zu Boden. «Wir bleiben alle schön ruhig, okay. Keine hastigen Bewegungen.»
«Und lassen Sie Ihre Hände dort, wo wir sie sehen können», fügt Menken hinzu. Sie legt ihren Kopf ein wenig schief und verengt ihre Augen zu Schlitzen. «Seltsam, dass es Sie bis hierher zu den Bahngleisen verschlagen hat. Das hier ist nicht gerade der Ort, an dem ich zuerst nach der Bushaltestelle suchen würde.»
«Ich habe mich verirrt», wiederhole ich. Ich zittere schon wieder und zupfe am ausgefransten Saum meiner Jacke. «Ich habe nicht mehr gewusst, wo ich bin.»
Genau in diesem Moment geht die Tür zu Marios Haus mit einem Rums auf; die zwei Rettungssanitäter steigen langsam die Stufen hinunter und gehen über den Rasen zum Krankenwagen. Die Trage zwischen ihnen ist sichtlich schwerer. Schwer von einem Körper. Der mit einem weißen Laken bedeckt ist. Mein Blut sackt in meine Füße. Alles fühlt sich so unwirklich an.
Flack legt einen Arm um meine Schultern und führt mich zu einem der Streifenwagen. «Ich sorge dafür, dass man Sie nach Hause bringt. Ihre Eltern stehen vermutlich schon Todesängste aus; ich nehme mal stark an, dass Sie das Abendessen vor zwei Stunden verpasst und nicht angerufen haben. Glauben Sie mir», sagt er sanft, «ich habe zwei Kinder in Ihrem Alter – ich würde ihnen ein Jahr lang Hausarrest geben, wenn ich herausfinden würde, dass sie sich allein in dieser Gegend herumgetrieben haben.»
Beinahe erzähle ich es ihm. Beinahe gestehe ich es ihm: Mich vermisst niemand. «Ja, okay», flüstere ich stattdessen und stecke die Hände in die Jackentaschen. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Menken steht dort und stapft in ihren makellosen Stiefeln durch das hohe kalte Gras. Sie beißt die Zähne zusammen und schaut unverwandt zurück, bis ich wegsehe.
«Oh, und …», er nimmt die Hand von meinem Rücken, langt in die Brusttasche seines weißen, gestärkten Uniformhemdes und gibt mir ein kleines Kärtchen: Lieutenant Lief M. Flack, Cleveland Police, «rufen Sie unbedingt an, wenn Ihnen noch etwas einfällt. Alles kann helfen. Und schreiben Sie mir Ihre Kontaktdaten auf, okay? Einfach nur Name und Nummer.» Er hält mir seinen Notizblock hin und zieht die Schultern zu den Ohren. Dann zieht er den Reißverschluss seiner Jacke höher. «Ganz schön kalt hier heute Nacht.»
Penelope Marin , schreibe ich. Ich beiße die Zähne zusammen, aber ich muss es einfach noch einmal hinschreiben. Penelope Marin. Und noch mal. Penelope Marin.
«Einmal sollte reichen», sagt er
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