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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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fängt an zu zucken. Ich muss da rein, ich muss Bescheid wissen. Das verrückte Gefühl breitet sich wie ein Sturm in meinem Rumpf aus, klettert hoch zu meiner Kehle und von dort aus die Arme und Beine hinunter, dann sogar in meine Augen. Wenn ich nicht an diese Tür klopfe, wird mir Oren im Traum wochenlang in den Ohren liegen und fragen warum warum warum. Warum hast du es nicht versucht, Lo? Warum hast du nicht endlich einmal etwas getan, etwas Wichtiges? Auch wenn er das nicht sagt, wenn er mich nur von seinem dunklen, weit entfernten Ort anschaut, weiß ich doch, dass er das meint. Warum hast du nichts getan ?
    Warum lasse ich die Dinge entgleiten?
    Ich klopfe an. Nichts passiert. Keine Antwort. Ich klopfe erneut.
    Sekunden und Sekunden und beschissene Sekunden dieser kriechenden Stille.
    Ich wende mich von der Tür ab und will schon gehen, um die nächste zu finden – M. Egorin; 212 –, als ich plötzlich höre, wie Füße schnell über einen splittrigen Boden schlurfen. Der Knoten in meinem Magen zieht sich zusammen. Er ist hier drin. Ich weiß es einfach.
    Irgendetwas flattert hoch in meinen Mund – Schmetterlinge – sie breiten ihre Flügel zwischen meinen Wangen aus, kitzeln mich am Gaumen, drücken gegen die Lippen. Ich öffne den Mund, um sie herauszulassen, aber es kommt nichts.
    Ich drehe mich um und klopfe erneut. Keine Antwort, aber immer noch die Füße, die kratzen und schaben. Wenn ich das nicht tue, wird sowieso etwas Schlimmes passieren – meiner Familie, Flynt, jemandem, der mir wichtig ist. Wenn ich meine Hand nicht in sechs, nein, in zwölf Sekunden auf den Türknauf lege, wird es passieren. Etwas so Grauenvolles, dass ich es mir noch gar nicht vorstellen kann. Ich zähle bis zwölf, und meine Hand schießt zum Knauf vor und dreht ihn.
    Die Tür öffnet sich.
    Tip tip tip, Banane. Ich trete in eine tintenschwarze Wand dicker, kalter Luft. Die Dunkelheit hier umhüllt einen wie eine Zwangsjacke. Ich fühle mich, als sei ich direkt in einen Sarg gestolpert.
    Eine unsichtbare Schlammlawine, die von oben aus der Welt der Lebenden losgetreten wurde, hebt sich, füllt den Raum, lässt keine Luft zum Atmen. Ich keuche. Ich kann den Lichtschalter nicht finden. Wie Frankenstein stapfe ich langsam vorwärts, bis ich die Wand finde und meine Finger den groben Putz entlanggleiten lasse.
    Die Schwärze um mich herum ist wie eine Faust, die immer fester und fester zudrückt. Und wenn ich hier sterbe? In der Dunkelheit, ganz allein, so wie Sapphire. Sie würden mein Zimmer absperren und untersuchen. Ich wäre dann die Irre, die Sachen geklaut hat, die getippt und gezählt hat, die nicht einfach so auf direktem Weg in ihr Bett gehen konnte. Tip tip tip.
    Die Wand ist ein endloses pockennarbiges Tal.
    So ist der Tod, genau so.
    Ich fühle etwas.
    Den Lichtschalter an der Wand.
    Etwas an meinem Bein.
    Ich schreie aus vollem Hals los. Das Licht geht an.
    Eine schwarze Katze schlingt ihren Schwanz um mich und kratzt an dem Riss in meiner Strumpfhose. Die Erleichterung lässt mich fast umkippen. Nur eine Katze. Eine Katze, die über den Boden einer leeren Wohnung kratzt. Ich knie mich dankbar hin und nehme ihren Kopf in die Hände.
    «Du bist ja ganz nass, Kätzchen.» Ich lasse das Tier los und schaue auf meine Hände. Sie sind ganz rot. Blut. Sie sind blutbedeckt.
    Mir wird schwindelig, ich stehe auf, mein Magen hebt sich, ich mache zwei stolpernde Schritte vorwärts. In der Mitte des Zimmers finde ich endlich Mario: Seine Eingeweide ergießen sich wie Würmer auf den Linoleumboden. Bräunliche Blutlachen breiten sich wie schleimige Pfützen um ihn aus, seine Augen sind vor Angst weit aufgerissen. Er versucht zu atmen. Ein schwaches, kaum hörbares Sauggeräusch. Die Kehle läuft ihm über. Drei weitere Katzen umkreisen ihn. Sie sind abgemagert und hungrig.
    Man kann seine Stimmbänder erkennen. Aufgeschlitzt. Zerfleischt. O Gott.
    Wie die Katze. Wie die Katze. Jetzt weißt du, was Neugier anrichten kann.
    Aber Mario ist nicht tot. Noch nicht.
    Ich wende mich ab. Mir ist schwindelig.
    Ich weiß nicht, wie ich herausgekommen bin, aber plötzlich stehe ich draußen – zitternd, würgend. Ich falle ins kalte nasse Gras, in den Schmutz und die Dunkelheit. Die Tür fällt hinter mir zu. Die Welt schaukelt, wild und frei.
    Mond riesig. Atem schwer.

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    Kapitel 18
    Ich starre meine Hände an. Sie zittern, die Handflächen sind rot. Ich falle auf die Knie und versuche, sie im Gras

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