Schmetterlingsjagd (German Edition)
und klingt jetzt misstrauisch.
Ich beiße mir drei Mal auf die Zungenspitze und schaffe es, meine Telefonnummer nur einmal zu notieren.
Mehr Polizisten sind jetzt angekommen, und alles um mich herum dreht sich rot-weiß. Ich schließe die Augen. Ich habe Kopfschmerzen.
«Hey, Flack!» Das kommt von Menken, die von der Veranda aus nach ihm ruft. «Komm doch mal kurz her, okay?»
«Warten Sie mal kurz hier, ja? Ich rufe Ihnen einen Beamten, der Sie nach Hause bringt. Dauert nur eine Sekunde.» Flack läuft zu Menken herüber, und sie verschwinden beide im Haus. Sobald die Tür ins Schloss fällt, klopfe ich schnell tip tip tip tip tip tip und warte nicht auf den versprochenen Wagen – ich kann es einfach nicht –, sondern gehe schnell in die andere Richtung. Dabei verberge ich mein Gesicht im Jackenkragen. Eine neue Hoffnungslosigkeit breitet sich in meiner Brust aus.
Der Türsteher kann Mario also nicht umgebracht haben. Mario wusste etwas, und jemand war hinter ihm her, um ihn daran zu hindern, es weiterzusagen. Er hatte einen Grund dafür, mich anzulügen – er wusste etwas, das er nicht wissen durfte, oder er hatte etwas, das er nicht haben durfte. Das kann kein Zufall gewesen sein. Mario steckte irgendwie in der ganzen Sache drin, genauso wie der Türsteher irgendwie darin steckte, und nun sind sie beide von der Bildfläche verschwunden.
Ich stecke auch drin.
Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Kinn hoch und hole mein Handy aus der Tasche: 11.30 Uhr .
Keine verpassten Anrufe. Mom und Dad haben nicht einmal bemerkt, dass ich fort bin.
Zurück in meinem Zimmer, stelle ich die Kästchen aus Limoges-Porzellan ein Regalbrett weiter höher und ordne sie in neue Grüppchen, die jeweils aus drei Kästchen bestehen, in geraden Linien, mit anderthalb Zentimetern Zwischenraum. Dann die Briefbeschwerer – alle aus Glas mit winzigen Welten darin, Planeten von der Größe von Fingernägeln – sie alle müssen an die gegenüberliegende Wand. Sechs auf das eine Regalbrett, sechs auf das andere. Jeweils genau über- oder untereinander. Das bedeutet, dass die Keramikgänseblümchen von der linken Seite meines Schreibtischs auf die rechte wandern müssen und die glitzernden Hornkämmchen auf die linke und meine Bundesstaatenwimpel (es fehlen noch: Delaware, Nevada, Nebraska, North Dakota, South Dakota und West Virginia) an der Wand fünf Zentimeter weiter runter und drei nach rechts.
Nein. Nichts ist in Ordnung. Schräg. Asymmetrisch.
Ich bin so müde, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Nur für eine Minute strecke ich mich zwischen drei seidenen und mit Perlen bestickten Pfauenkissen auf dem Boden aus, und schon nimmt mich der Boden zwischen all den Sechsen und Neunen und Zwölfen auf, die aneinander angrenzen, sich aber nie berühren. Die Wanduhren ticken gemeinsam in einem regelmäßigen Takt: halb fünf Uhr morgens. Nur eine Minute , entscheide ich und lasse die Augen zufallen, und dann denke ich darüber nach. Dann bringe ich alles wieder in Ordnung .
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Kapitel 19
Unser alter Keller in Charles Village in Baltimore: Oren, Sapphire, Mario und ich haben uns auf unsere alte gelbgrüne Ausziehcouch gehauen und schauen fern. Sapphire setzt sich auf Marios Schoß, und sie schaukeln hin und her. Oren beugt sich zu mir herüber, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, ein Kauderwelsch, das ich nicht verstehe, und dann liegen wir alle plötzlich auf dem Teppich, der von Blut ganz dick ist, und legen unsere Köpfe in der Mitte zusammen. Mario, Sapphire und Oren schweben hoch zur Decke; Oren sagt: Komm doch hoch, Lo . Oren sagt: Beeil dich, wir heben sonst ab . Aber ich bin wie gelähmt, ich kann ihn nicht erreichen; sie schweben fort, sie sind weg.
Mit einem Keuchen wache ich auf, weil mein Handy auf dem Nachttisch wie verrückt klingelt. Ich greife danach. Meine Stimme klingt ganz zittrig: «Hallo? Flynt?»
Ich höre ein Pulsieren im Hintergrund, einen gleichmäßigen, pumpenden Beat. «Ah. Nein. Hier ist Howard, der Geschäftsführer vom Tens. Ich bin auf der Suche nach Juliet?» – Gläserklirren, eine Frauenstimme, die ruft: «Also soll ich dann mit ihr da raufgehen?»
Ich fahre hoch und streiche mir über das Haar – das Tens, der Schnurrbartmann: «Ja. Hier ist Juliet. Hi. Hallo.»
«Hi, Juliet. Ich habe deine Bewerbung an die anderen Geschäftsführer weitergeleitet. Heute ist Anfängernacht, wenn du vorbeikommen willst, können wir sehen, ob wir ein
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