Schmetterlingsjagd (German Edition)
abzuwischen. Voller Tod, voller Blut – sein Blut. Ich muss sie sauber machen.
Ich brauche Hilfe.
Irgendwie schaffe ich es, 911 zu wählen und sogar die Adresse und die Fakten zu nennen: Da ist ein Mann … er stirbt. Bitte. Kommen Sie. Sie sagen, dass sie schon auf dem Weg sind.
Ich lege auf. Kein Ton. Stille um mich herum. Ein paar Minuten später kommen zwei Paar Scheinwerfer durch die Dunkelheit auf mich zu. Die Polizisten. Ein Krankenwagen.
Mein Atem geht in unregelmäßigen Hicksern. Zwei Polizisten schlagen die Wagentüren zu. Ein Summen wie von Insekten dringt aus ihren Walkie-Talkies. Ich bemühe mich, stehen zu bleiben, aber ich fühle mich, als würde ich versinken – ich weiß nicht mehr, wo mein Körper aufhört und der aufgewühlte Rasen beginnt.
Die Insekten summen: 10–4. Mutmaßlicher Mordfall an der Ecke zur Euclid Street. Nein. Wir haben schon einen Krankenwagen . Ein Schwall statisches Rauschen und Knistern.
Zwei Rettungssanitäter springen aus dem Krankenwagen. Sie halten eine Trage. Der eine ist eine Frau mit sehr, sehr kurzem Haar, und der andere trägt eine dunkelblaue Jacke mit dem Wort Gerichtsmedizin in weißen Blockbuchstaben auf dem Rücken. Sie rennen über den sterbenden Rasen auf das heruntergekommene Gebäude zu.
Eine Polizistin beginnt den Boden abzusuchen. Sie hält den Strahl ihrer Taschenlampe in die Dunkelheit. Ein vierter Polizist – groß und dünn mit einem spitzen Kinn und einer Vogelschnabelnase – streckt die Hand aus, um mir hochzuhelfen. «Miss Marin?»
Ich nicke und blicke ihn an. Sechs Atemzüge ein, sechs Atemzüge aus. Ich sehe immer noch Marios sterbenden Körper vor mir. Seine Augen so weit aufgerissen, jeder Körperteil zittert sich aus dem Leben. Sechs Atemzüge ein, sechs Atemzüge aus.
«Ich bin Officer Flack. Und das ist meine Kollegin, Officer Menken.» Officer Menken hat eine Knollennase und winzige Äuglein, eine Frau, die sich an der Grenze zur Fettleibigkeit befindet. Sie schaut kurz auf und kritzelt dann weiter etwas auf ihren Notizblock. «Also», fährt er fort und beobachtet mich dabei genau, «Sie haben 911 gewählt, nicht wahr? Wohnen Sie in der Nachbarschaft?»
«Nein», antworte ich. Es fällt mir schwer zu sprechen, meine Kehle fühlt sich ganz zugeschwollen an. «Ich bin nur zu Besuch.» Nur zu Besuch. Nur zu Besuch, wiederhole ich flüsternd.
«Wie bitte?»
«Nichts. Gar nichts.» Nichts – noch einmal, zu leise, als dass er es hören könnte. Mein Gesicht ist glühend heiß. Ich tippe: neun, neun, sechs auf das rechte Bein; neun, neun, sechs auf das linke.
Er wirkt verwirrt. «Und wie kommen Sie dann hierher? Ist der Mann da drin ein Freund von Ihnen? Ein Verwandter?»
«Nein, eigentlich nicht», sage ich. «Ich … ich habe vor ein paar Wochen auf dem Flohmarkt etwas von ihm gekauft und wollte sehen, ob er noch etwas Ähnliches hat. Weil ich sowieso gerade in der Gegend war, auf dem Weg zur Bushaltestelle, dachte ich, dass ich …» Ich muss zwei Mal hicksen. Schlecht. Blut. Der Magen dreht sich um. Mein Kopf fühlt sich an, als ob er zwischen zwei dunklen Flugzeugen eingequetscht wäre. Ich weiß nicht einmal, ob ich nicht vollkommenen Unsinn erzähle. «… ich bin hineingegangen, um, um nachzusehen, und die Tür war, war offen …»
Officer Mengen stellt sich neben Officer Flack. «Reynolds hat Verstärkung erbeten. Davis und Frank sind in weniger als fünf Minuten hier.» Sie schaut mich müde an und kritzelt wieder etwas auf ihren Block.
«Welchen Bus?», fragt sie plötzlich.
«Bus?»
«Ja. Welche Buslinie. Sie haben gesagt, sie wären auf dem Weg zur Bushaltestelle gewesen.» Ihr Tonfall klingt barsch. Davon schmerzt mein Magen noch mehr. Diese Stimme. Wie eine Papierschnittwunde.
«Der 96er», antworte ich – der Bus, zu dem mich das Zwiebelsack-Mädchen geführt hat, damals, als Sapphire in diesem gänseblümchengelben Haus ermordet wurde.
Kugel. Überall Glas, zersplittert, scharf.
Er war’s nicht. Er war’s nicht.
«Hmm», macht Menken. Die Ungläubigkeit steigt aus ihrer Stimme wie Dampf. Sie kritzelt noch etwas auf ihren Block. «Und was hatten sie in dieser Gegend überhaupt zu suchen, Miss Marin, bevor Sie sich entschieden, hier vorbeizuschauen?»
Ich grabe meine Nägel in die Handflächen. Nicht zucken. Nicht schreien. «Ich habe meinen Freund besucht …» Ich muss mich zusammenreißen, damit ich nicht Sapphire sage – «Flynt.» Ein Schmerz schießt durch mich hindurch, als ich
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