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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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«Ich – ich muss ihm eine Frage zu etwas stellen, was er mir letzte Woche verkauft hat. Es ist wichtig.»
    «Vor ein paar Samstagen war sein Stand neben meinem», erzählt sie und putzt eine mit glitzernden Steinchen besetzte Brille mit einem weichen gelben Tuch. «Netter Kerl … sagte, er verkaufe hier nur, um sich ein Zubrot zu verdienen, damit er aus dem Juniper ausziehen kann. Du weißt doch, da drüben an der Euclid Street, ganz am Ende? Ich hab ein paar scheußliche Dinge darüber gehört.»
    Mein Herz klopft jetzt heftig. Das Juniper.
    Ich drücke Sapphires Schmetterling in meiner Tasche drei Mal. Sie drückt zurück: Ja ja ja.
    «Ich hoffe, das hilft dir weiter», seufzt sie und wendet sich ab, um einen neuen Karton zu holen. Hinter ihrem Rücken überkommt mich der Drang mit voller Wucht. Zwei silbrig glitzernde Brillen singen für mich an der Tischkante – meine Finger sind plötzlich ganz schnell und heiß. Meine Hand schießt schon vor, um nach ihnen zu greifen, aber ich trete einen Schritt zurück, stoße sie entschlossen in meine Tasche und drücke stattdessen den Schmetterling. Die Frau dreht sich wieder zu mir um, nimmt eine andere Brille und putzt sie.
    «Ja, das tut es», sage ich atemlos. Zum ersten Mal habe ich es geschafft. Ich habe dem Drang widerstanden. «Sehr.»
    Es wird langsam dunkel, als ich mich auf den Weg zur Euclid Street mache. Ich weiß noch, wo sie liegt, weil ich an ihr vorbeikam, als ich von Sapphires Haus geflohen bin; die Straße ist nur drei Häuserblocks von der Lourainne Street entfernt. Ich denke jetzt noch nicht darüber nach, was ich tue, wenn ich Mario finde – erst mal dorthin kommen , flüstert Sapphire in mir. Einfach weitergehen.
    Auch Oren schiebe ich beiseite. Ich werfe ihm den «Komm, wer schneller ist!»-Blick zu. Und dann renne ich, flitze durch Straßen, die ineinanderzufließen scheinen.
    Stromleitungen hängen gefährlich tief im Zickzack über mir. Immer wieder schlagen sie kleine Funken, die vermutlich schon alle Bäume in dieser Gegend angekohlt haben. Ihre Rinde ist schwarz und rissig und sieht roh aus. Die Häuser stehen in ungeordneten Gruppen zusammen, einige lehnen sich aneinander, um sich zu stützen, weil große Löcher in ihren Mauern klaffen.
    Als ich scharf rechts in die Euclid Street einbiege, ist Oren hinter mir verschwunden; ich bin wieder allein.
    «Gewonnen», keuche ich in die frostige Luft und gehe langsam weiter. Meine Lungen brennen, die Augen tränen.
    Die Risse im Pflaster werden größer, der Wind heult stärker. Das Herz klopft wie wild in meiner Brust. An einem großen Schlagloch bleibe ich stehen, um ein Rudel Ratten vorbeizulassen. Als ich hochschaue, sehe ich es: das Juniper. Nummer zwei-zwei-zwei in der Euclid Street, neben einer Autobahnbrücke auf Zementsäulen am Ende der Straße.
    Zwei – furchtbar. Ein gespaltener Zahlengeist.
    Das Juniper ist ein flaches, heruntergekommenes Gebäude, gespenstisch einsam. Es wirkt, als ob es platt gedrückt worden wäre und bald ersticke. Die Holzfassade ist abgeblättert, und die Fenster sind halb zugenagelt.
    Mein Blut wird ganz kalt; ich tippe: Ma-ri-o Ma-ri-o Ma-ri-o Ma-ri-o Ma-ri-o Ma-ri-o.
    Ich übe im Kopf, was ich sagen will: Sag die Wahrheit , oder ich hole diesmal die Bullen .
    Der Himmel ist stahlgrau. Ich steige die Stufen hinauf, meine Beine fühlen sich an wie heißes Blei. Die Glöckchen aus dem Diner klimpern bei jedem Schritt, und der Schmetterling schneidet in meine geschlossene Faust. Ich versuche die Gefahren einzuschätzen: keine funktionierenden Straßenlaternen, drinnen ein Mörder und sonst niemand außer Ratten, die meine Hilfeschreie hören können. Tip tip tip, Banane.
    Die Tür geht auf. Leicht. Sie war nicht einmal abgeschlossen. Natürlich: Das Schloss ist aufgebrochen.
    Es gibt eine Liste an der Wand. Die Namen der Mieter, alphabetisch geordnet. Ich kenne seinen Nachnamen nicht.
    Zwei Mieter, deren Vornamen mit einem M. beginnen.
    M. Vecchio; 103
    M. Egorin; 212
    Tip tip tip, Banane; ich gehe durch die offene Eingangshalle, unter dem abblätterndem Putz an der Decke hindurch, über den beigefarbenen Teppichboden, der vor Schmutz nur so starrt, an Wänden vorbei, die schwarz sind vor Rissen und Löchern. Es stinkt nach Zigarettenrauch und süßlich, dumpf, abgestanden nach Alkohol.
    Wie unter Wasser schwebt mein Körper zur ersten Tür. Ich starre sie an. Es fühlt sich alles so falsch, so schlecht an; ich sollte wieder gehen.
    Aber mein Körper

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