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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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Schlafen beobachtet hat. Noch nie hat mich jemand jemals so angeschaut, wie er es gerade tut – als ob er mich für immer anschauen könnte und ihn mein Anblick niemals langweilen würde. Als ob ich das interessanteste Wesen wäre, das er je gesehen hat. Sein Hemd ist oben aufgeknöpft und hängt wie seine Rastalocken lose über seinen Schultern. Ich hebe die Hand zum linken Ohr und kratze es drei Mal.
    «Lo – nicht bewegen», sagt er ernsthaft, seine Augen leuchten im Licht wie Honig, warm und bernsteinfarben und glänzend. «Ich arbeite noch.»
    «Es hat gejuckt.»
    «Nächstes Mal sagst du’s mir, dann kratze ich für dich. Gerade wollte ich deine Ellenbogenfalte schattieren, und jetzt hat der schreckliche Juckunfall alles zerstört. Jetzt muss ich die perfekte kleine dunkle Skyline aus dem Gedächtnis zeichnen.» Er grinst. «Ich bin gleich fertig, versprochen.»
    Ich lasse mich ein bisschen tiefer in Flynts dickes Sofa sinken und schaue ihm beim Zeichnen zu. Unsere Blicke kreuzen sich. Ich schaudere ein bisschen und streiche meinen Pony aus dem Gesicht, drei Mal, aus Gewohnheit.
    «Hey!», beschwert er sich.
    «Sorry, sorry, wird nicht wieder vorkommen, wirklich!»
    Er hebt den Kohlestift und pustet auf das Papier. Schwarzer Staub legt sich auf seine geflickten Jeans. Seine Augen streichen über mein Gesicht, meine Stirn; er malt weiter. Meine schrecklichen Ponysträhnen. Ich würde sie zu gern wachsen lassen, aber ich habe schon versprochen, es nicht zu tun. Meine Kehle fühlt sich beim Schlucken rau an. Ich erinnere mich daran, geweint und ihm alles erzählt zu haben, aber jetzt fühlt sich das so weit entfernt an, als hätte ich es ebenfalls geträumt.
    «Also, wie hast du die Narbe über deinem Auge bekommen?», fragt Flynt, lässt seine kohlegeschwärzten Hände einen Moment auf den Knien liegen und mustert sie.
    «Ich bin in einen Bach gefallen, ganz in der Nähe unseres alten Hauses in Minnesota» – ich halte einen Moment inne und erinnere mich an Orens Arme, die sich um mich schlingen, mich hochziehen, wie er mir sein warmes Ohr auf die Brust legt, um zu horchen, ob mein Herz noch schlägt – «aber mein Bruder hat mich gerettet.» Flynts Blick gleitet zu meiner linken Gesichtsseite, seine Hände bewegen sich ebenfalls zur Seite und scheinen etwas umrahmen zu wollen. «Darf ich dich etwas fragen?»
    «’türlich darfst du, Lope.»
    «Wie heißt du wirklich?»
    Ich bemerke, dass ihm kurz der Atem stockt. Moby wacht auf und springt sofort auf das Sofa. Träge streckt er seine Pfoten auf meinem Bauch aus. Flynt scheucht ihn fort. «Er ist eine echte Diva», lacht er, «er hält sich für so schön, dass er glaubt, auf jeder Zeichnung sein zu müssen.»
    Wir schauen uns an, und er senkt den Blick auf seinen Skizzenblock.
    «Du kannst ihn mir verraten. Ich werd ihn nicht weitersagen. Ehrlich», sage ich. Ich will tippen, aber ich kann nicht, also beiße ich mir stattdessen sechs Mal auf die Unterlippe.
    «Kann ich nicht. Ich hab’s geschworen.» Er zwinkert und versucht, einen Scherz daraus zu machen.
    «Warum nicht? Du kannst ihn nur einmal sagen und musst ihn dann nie wieder erwähnen. Ich meine, er kann doch nicht so schlimm sein – wir hatten einen Nachbarn in Detroit, der hieß Peter Pickel. Peter Pickel. Echt. Das ist kein Scherz.»
    Er lacht, aber es klingt halbherzig. «Das ist es nicht. Es ist kein schlimmer Name, es ist nur, dass … er gehört so sehr zu meinem alten Leben, und ich mag nicht gern daran denken. Deshalb bin ich jetzt Flynt.» Sein Gesicht verdunkelt sich für einen Augenblick. «Die Leute können nicht endlos auf dir herumtrampeln; irgendwann muss man einfach abhauen, verstehst du?»
    Mein Traum kommt und schreit mich an – Sapphire – vier-dreißig-sieben .
    «Was für Leute?», frage ich leise.
    «Leute», sagt er kurz angebunden, das Gesicht ganz hart und unbewegt. Dann schaut er auf seinen Skizzenblock und zeichnet weiter. «Mein Stiefvater zum Beispiel.»
    Ich warte in der Stille, wage es kaum zu atmen, damit er mehr erzählt.
    Er konzentriert sich auf die Zeichnung auf seinem Schoß. Dann beginnt er wieder zu sprechen. «Ich glaube, deshalb zeichne ich so gern.» Er fährt so schnell mit der Kohle über das Papier, dass es fast aussieht, als tanze sie. «Man sieht eine andere Seite der Leute … man sieht hinter den ganzen Schwachsinn. Man bleibt nicht ewig ein Kind, nicht wahr? Diese Unschuld behalten wir nicht für immer. Aber sie verschwindet auch nicht

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