Schmetterlingsjagd (German Edition)
immer es war, ich glaube, dass er für jemanden arbeitet. Sapphire hat viel über ihren Exfreund Bird geschrieben. Ich glaube – ich glaube, dass er sie vielleicht geschlagen hat. Niemand weiß irgendetwas über ihn. Aber ich weiß , dass er in der Sache drinsteckt. Ich kann es fühlen .»
«Herrje», sagt er, steht auf, umrundet einmal das Sofa und setzt sich wieder. Er reibt mit den Handflächen über seine Schenkel. «Herrje, Lo. Das ist eine ernste Sache.» Seine Augenbrauen bilden eine Linie, sein Gesicht ist ganz grau. «Du weißt das, oder? Du weißt, wie ernst die Sache ist?»
«Ich weiß , dass es ernst ist», sage ich, schaue ihm direkt in die Augen und wende dann den Blick ab. Ich umarme ganz fest meine Knie. «Deshalb bin ich ja zur Polizei gegangen.»
«Bist du wirklich?» Flynt wird plötzlich ganz still. «Was hast du ihnen erzählt?»
«Alles. Ich habe ihnen alles erzählt, von Anfang an.» Zorn steigt ihn mir auf, wenn ich daran denke, meine Fingernägel graben sich in meine Knie, und ich zittere. «Die haben mich für eine Drogenabhängige gehalten. Sie haben mir Broschüren gegeben. Es war ihnen egal. Die haben sich nie um irgendwas gekümmert.»
«Was meinst du mit nie?»
Ich streiche mit dem Finger über den weißen Fleck auf Mobys Stirn: neun, neun, sechs; neun, neun, sechs. Mein Mund fühlt sich an, als wäre er mit Zement gefüllt.
«Du kannst es mir erzählen, Lo.» Flynt lehnt sich auf dem Sofa zurück, streckt die Hand aus und berührt erst mein rechtes Knie, dann mein linkes. Perfekt. Ausgeglichen. «Bitte erzähl’s mir.»
Ich warte auf ein Zeichen, auf irgendeine Veränderung, die mir zeigt, dass es richtig ist, ihm alles zu erzählen. Aber es kommt nichts. Eine große, weite Leere, eine weiße Stille.
«Mein Bruder», bringe ich schließlich hervor. «Oren.» Sein Name fühlt sich an wie tausend Papierschnitte auf meiner Haut. Neun, neun, sechs – Kreise um Mobys weißen Fleck herum. «Er ist letztes Jahr gestorben.»
Ich schaue schnell zu Flynt hoch, dann wieder herunter. «In seinem letzten Jahr an der High School. Er … er hat angefangen, Drogen zu nehmen. Harte Sachen. Vielleicht hatte er das schon früher getan – ich weiß es nicht. Er ist manchmal wochenlang weggeblieben. Wenn Mom und Dad wissen wollten, wo er gewesen war, wurde er nur sauer. Fing an zu schreien. Und blieb wieder lange weg. Jedes Mal, wenn er wiederkam, war er noch dünner geworden. Manchmal war er richtig gemein. Er war … er war nicht mehr er selbst, weißt du?»
Ich atme tief durch. Es tut weh, darüber zu sprechen. Aber es tut noch mehr weh zu schweigen – die Worte drängen aus meiner Kehle, sie wollen unbedingt heraus. «Er hat die Schule abgebrochen, weißt du. Meine Eltern haben ihn in eine Entzugsanstalt geschickt, aber es hat nicht funktioniert – er ist da abgehauen, sobald er achtzehn war.» Ich versuche zu atmen. «Dann ist er ins Haus geschlichen und hat Moms Schmuck geklaut, um ihn zu verkaufen. Aber sobald sie das herausfand, legte sie alles in den Safe, und er hörte damit auf … er hörte auf. Er kam überhaupt nicht mehr.» Mein Gesicht ist nass, und ich zittere; ohne es zu bemerken, habe ich angefangen zu weinen.
Moby springt von meinem Schoß auf Flynts – wahrscheinlich habe ich zu fest auf seinen weißen Fleck gedrückt. Ich wische mir das Gesicht ab und schnäuze mich. «Sechs Monate später erschien die Polizei an unserer Tür …» Atmen, atmen, atmen. «… sie hatten ihn gefunden. In einem verlassenen Wohnhaus. Mill Street. Er war schon eine Woche tot. Eine Woche.» Ich kann nur noch verschwommen sehen, aber ich kann nicht aufhören zu reden, obwohl ich nur noch flüstere und die Worte mühsam herauswürge. «Ein Nachbar hatte sich über den Gestank beschwert.» Ich balle die Hände zu festen, runden Fäusten. Ein Schrei löst sich in meiner Kehle.
Für einen Moment hört man nur mein Schnauben und Schniefen. Flynt ist still. Er wartet. «Und – es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld. Ich hätte etwas tun müssen, um ihm zu helfen, habe ich aber nicht. Ich habe nichts getan.»
Ich zittere und bebe. Flynt gleitet neben mich und neigt den Kopf, um leise mit mir zu sprechen. «Lo, hör mir zu, du hättest nichts tun können. Du bist nicht dafür verantwortlich.»
Ich schaue zu ihm hoch, sein Gesicht ist ein Wasserfarbenfleck. Die Leere greift nach mir und hebt mich wie einen Untoten vom Sofa zu meinen Schuhen. Mit zittrigen Fingern hole ich das
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