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Schmetterlingsscherben

Schmetterlingsscherben

Titel: Schmetterlingsscherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Hazy
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murmelte Ramona, die über mir schwebte. «Mach die Augen zu, ich werde dich beruhigen.»
    Seufzend senkte ich die Lider, auch wenn es in meinem Magen rumorte wie in einem Betonmischer. Die kleine Engelsfigur pustete sanft auf meine Augenlider und die Stirn und kühlte meine Wangen, die ganz heiß geworden waren.
    Irgendwie senkte sich mein Puls und mein Körper entspannte sich. Auf einmal war ich einfach nur noch müde und komplett erledigt und es fiel mir nicht weiter schwer, einzuschlafen.
     
    Mit dem nächsten Morgen kehrte die Panik zurück. Ich konnte unmöglich zur Schule. Das würde ich nicht über mich bringen. Nicht heute. Noch nicht. Vielleicht morgen, oder übermorgen, wenn ich mich irgendwie mit dem Gedanken abgefunden und mich seelisch auf eine zweite Begegnung eingestellt hatte.
    Aber auf keinen Fall so.
    «Pa?», fragte ich also, als ich im Schlafanzug in die Küche tapste. «Mir geht's nicht so gut. Wäre das okay, wenn ich heute zu Hause bleibe?»
    Mein Vater sah erschrocken von seiner Zeitung auf und wurde jäh in seiner Morgenroutine unterbrochen. Besorgt musterte er mich. Ich zog an den Ärmeln meines ausgeleierten Pullovers herum. Ich log nicht gern, aber es ging nicht anders. Und ich fühlte mich tatsächlich schlecht. Ich war mir auch sicher, dass ich nicht besonders gesund aussah.
    «Was stimmt denn nicht? Bist du krank? Hast du Probleme? Du weißt, du kannst mit mir reden, Liebling.»
    «Ich weiß. Das ist es nicht. Ich hab bloß… meine Tage. Da krieg ich immer so krasse Krämpfe», log ich, weil das irgendwie noch das unverfänglichste war. Sobald er auch nur annähernd vermutete, dass mein seelischer Zustand labil war, würde er bei Doktor Meineken anrufen. Und ich hatte keine Lust mehr auf Therapie. Es hatte nicht geholfen. Und es würde auch nicht mehr helfen. Ich kam alleine klar. Irgendwie.
    «Das klingt ja gruselig», rief Rüdiger und verzog das Gesicht. «Dann leg dich wieder ins Bett, Liebling. Ich schreib dir eine Entschuldigung.»
    Sobald ich wieder in der Sicherheit meines eigenen Zimmers und unter meiner kuscheligen Decke war, ging es mir besser. Jedenfalls war die Panik verschwunden. Zurück blieb die Einsamkeit. Meine Mutter fehlte mir in diesem Moment so sehr, dass es wehtat.
     

Kapitel 4
    «Ich kann heute auf keinen Fall zum Sportunterricht», maulte ich. «Wir machen Zirkeltraining! Das ist der absolute Horror. Ich bin immer die Schlechteste und alle lachen mich aus.»
    «Dann sag doch einfach, du hast deine Tage», schlug Lennard vor, der neben mir auf dem Schulhof stand. «Dann musst du bloß zugucken.»
    «Aber ich bin erst elf! Ich hab so was noch nicht!», rief ich verwirrt. Wir hatten das Thema Menstruation in der Schule durchgenommen, aber bisher war bei mir noch nichts dergleichen aufgetaucht. Gott sei Dank. Der Gedanke war irgendwie gruselig.
    «Das weiß dein Lehrer doch aber nicht», lachte Lennard und schob sich die Brille zurück auf die Nase. «Und Penny aus deiner Parallelklasse hat ihre auch schon mit Elf bekommen und erzählt seitdem überall herum, sie wäre jetzt eine echte Frau.» Er verdrehte die Augen und ich kicherte leise. «Dabei schläft sie manchmal noch bei ihren Eltern im Bett!»

    Ich ging auch die beiden nächsten Tage nicht zur Schule, weil mir mein Vater Bettruhe verordnet hatte. Er kümmerte sich wirklich sehr um mich, brachte mir Kamillentee und Aspirin und überlegte sogar, den nächstgelegenen Frauenarzt zu kontaktieren, wovon ich ihn gerade noch rechtzeitig abhalten konnte.
    «Ich wollte morgen nach Hannover fahren», sagte Rüdiger an diesem Freitagmittag. Er war wie immer in der Mittagspause nach Hause gekommen. Ich hatte mich sogar bemüht, ihm beim Kochen zu helfen, aber ich konnte nicht mehr tun, als Gemüse zu schnippeln. Meine Mutter war nicht allzu talentiert gewesen, was die Zubereitung von Nahrungsmitteln anging. Mir fehlte der chinesische Lieferservice, auch wenn das Essen von meinem Vater nicht schlecht war.
    «Willst du nicht mitkommen?» Er beäugte mich misstrauisch, weil er die Antwort genauso kannte wie ich. Ich wollte nicht dorthin. Nicht in dieses Haus, wo mich alles an sie erinnerte, wo alles wieder hochkam. Rüdiger war bereits mehrmals dort gewesen und ich hatte ihm aufgeschrieben, welche Sachen ich noch von dort brauchte, damit er sie mir mitbringen konnte. Aber ich wollte wirklich nicht dorthin.
    «Ich denke nicht», antwortete ich und stocherte in meinem Kartoffelpüree herum. Es schmeckte eigentlich ganz

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