Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
schnitt Laura Winter ihm zum dritten Mal das Wort ab. »Es war kurz
nach meinem Abitur: Unsere Familie zog nach Stuttgart. Alles war in Ordnung, Vater
hatte eine neue Stelle in einem Stuttgarter Krankenhaus. Du weißt vielleicht noch,
dass er Chirurg ist. Mutter stammt aus Stuttgart und freute sich sowieso auf den
Umzug. Ich begann zu studieren, und Felicitas bereitete der Wechsel der Stadt und
der Schule keine Probleme. Felicitas und ich hatten immer ein gutes Verhältnis.
Als sie älter wurde, waren wir wie Freundinnen. Wir erzählten uns alles, wir machten
Quatsch miteinander, der Altersunterschied spielte keine Rolle.«
John betrachtete
sie, während sie sprach. Eine attraktive Erscheinung, zweifellos. Und eine Frau,
die immer wusste, was sie wollte. Die es einem nicht leicht machte, sie sich trauernd
vorzustellen. Konsequent, gefasst und souverän, so saß sie auf diesem Stuhl in seinem
Büro.
»Nach ihrem
Abitur«, fuhr Laura fort, »zog es Felicitas zurück nach Freiburg, sie mochte die
Stadt schon immer. Das war vor drei Jahren. Das erste Semester, die ersten Klausuren,
alles bestens. Wir sahen uns natürlich nicht mehr so häufig, aber wir haben oft
telefoniert, SMS ausgetauscht. Wie das eben so ist.«
»Und dann?«
»Und dann
die Nachricht von ihrem Tod.« Wieder bemühte sich Laura nach Kräften, hart und souverän
zu klingen. John fand, sie übertrieb es damit.
»Bei dem
Unfall«, sprach sie im gleichen Tonfall weiter, »wurde Felicitas von dem Fahrzeug
komplett überrollt. Sie war so entstellt, dass man sie kaum wiedererkannte.«
»Wo ist
das passiert?«
»In der
Kartäuserstraße. Ziemlich weit oben.«
»Gibt es
einen besonderen Bezug zu der Straße?«
»Außer dass
meine Schwester dort starb?«, kam die prompte Gegenfrage, als wäre das hier ein
Duell, das mit Worten geführt wurde.
»Gibt es«,
startete John einen neuen Versuch, »eine ganz bestimmte Verbindung von Felicitas
zu dieser Straße? Hat sie sie je erwähnt?«
»Nein.«
Sie räusperte sich. »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
»Wo hat
deine Schwester gewohnt?«
»In einem
Studentenwohnheim. Zwei Wochen nach Felicitas’ Beerdigung in Stuttgart fuhr ich
mit unserem Vater nach Freiburg, um ihr Zimmer auszuräumen und ihre Sachen nach
Hause zu bringen.« Sie holte Luft. »Was uns erwartete, war eine ziemliche Überraschung.
Ihr Zimmer in dem Wohnheim: Da lebte eine andere Studentin. Schon seit einer ganzen
Weile. Ihre Sachen: einfach nicht mehr da. Der Hausmeister erinnerte sich an Felicitas,
jedoch nur vage. Bereits vor mindestens einem Jahr soll sie ausgezogen sein.«
»Hast du
ihr nie Post geschickt? Oder deine Eltern?«
»Doch, das
haben wir. Aber an ein Postfach. Felicitas hatte uns erklärt, dass in dem Wohnheim
manchmal Post verloren ginge. Die Briefkästen wären oft kaputt, betrunkene Chaoten
würden die Namensschilder verschwinden lassen. Und so weiter.«
»Hast du
dir die Briefkästen angesehen, als du mit deinem Vater da warst?«
»Nein«,
erwiderte sie nicht ohne Schärfe. »Wir hatten andere Dinge im Kopf. Nach dem Gespräch
mit dem Hausmeister fuhren wir zur Universitätsverwaltung. Dort war Felicitas noch
immer unter der Adresse in dem Wohnheim gemeldet. Wir gingen zum Deutschen und zum
Historischen Seminar. Aber es stellte sich heraus, dass sie seit mindestens einem
Jahr keine Veranstaltung besucht, keine Arbeiten abgeliefert, an keiner Arbeitsgruppe
teilgenommen hatte. Wir sprachen mit mehreren Professoren und Dozenten. Was schätzt
du: Wie viele davon konnten sich an sie erinnern?«
John hob
die Schultern und verzichtete auf einen Tipp.
»Einer.
Und der auch nicht gerade lebhaft.« Sie verzog den Mund. »Er wusste noch, dass sie
›überaus attraktiv‹ war, wie er sich ausdrückte.«
»Was ist
mit den Studiengebühren? Wären sie nicht mehr gezahlt worden, hätte man Felicitas
exmatrikuliert.«
»Mein Vater
hat ihr monatlich einen Betrag auf ihr Girokonto überwiesen, von dem die Gebühren
per Dauerauftrag abgingen. Und daran hat sich, soweit ich weiß, nichts geändert.«
»Merkwürdig.
Nicht mehr in ihrer Wohnung, nicht mehr bei den Seminaren an der Universität. Und
du hast davon nichts geahnt?«
»Nein.«
Er sah Laura
an, wie schwer es ihr fiel, sich das eingestehen zu müssen. »Freundinnen? Ein Freund?«,
hakte er weiter nach.
»Früher
in Stuttgart wusste ich immer, für wen sie schwärmte, wen sie traf, welchen Freundinnen
sie vertraute. Als sie dann nach Freiburg zurückging, änderte
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