Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
sich das automatisch.
Sie nannte den einen oder anderen Vornamen von Studentinnen, mit denen sie sich
angefreundet hatte. Aber eigentlich …« Ihre Stimme verlor sich.
»Also keinen
Freund?«
»Ich habe
sie oft danach gefragt, habe sie geneckt. Klar. Wie das so üblich ist unter Schwestern.
Erfahren habe ich nur von einem gewissen Jan, mit dem sie ein paarmal ausging. Doch
das ist lange her, und dieser Jan war bald Geschichte …« Wieder das Schweigen. Es
schien ihr peinlich zu sein, nicht mehr über die eigene Schwester sagen zu können.
Sie presste die Lippen aufeinander.
»Wann hast
du sie zuletzt gesehen?«
»Am 60.
Geburtstag unseres Vaters.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Vor weit mehr
als einem Jahr.«
»Ist dir
da etwas an ihr aufgefallen? Etwas, das damals noch nicht, allerdings im Nachhinein
irgendwie auffällig erscheint?«
»Nein, sie
war, wie sie immer war. Blendend gelaunt, schlagfertig, interessiert. Sie freute
sich, die Familie wiederzusehen.« Laura schien einen Moment lang nachzudenken. »Gut,
sie wirkte ein wenig müde. Das käme vom Stress an der Uni, hat sie damals nur gesagt.«
Für einen
Moment schien es, als würde Laura die Beherrschung verlieren, die sie sich offensichtlich
aufgezwungen hatte. Als würde sie in Tränen ausbrechen. Schnell hatte sie sich jedoch
wieder im Griff und starrte John mit festem Blick über den Schreibtisch hinweg an.
»Vor weit
mehr als einem Jahr«, wiederholte er leise.
»Ja.« Sie
räusperte sich. »Seitdem nur noch Telefonate. Und auf einmal die Nachricht von ihrem
Tod.«
»Darf ich
dich etwas fragen?«
»Bitte«,
antwortete sie. Höflich, nicht freundlich.
»Warum hat
deine Schwester in einem Studentenwohnheim gelebt? Ich kenne die meisten davon in
Freiburg, und ich dachte …« Er wog seine Worte ab.
»Du meinst«,
kam Laura ihm zuvor, »warum ein Wohnheim, obwohl meine Eltern genügend Geld haben,
um ihr ein schickes kleines Loft zu mieten oder gleich zu kaufen? Das wolltest du
fragen, oder?«
»So ähnlich.«
»Felicitas
wünschte sich das so. Ich weiß noch, wie sie sagte: ›Ich bin eine Studentin. Also
werde ich unter einem Dach mit anderen Studenten leben.‹« Laura Winter musterte
ihn. »Weitere Fragen?«
Sie würde
weitaus hübscher wirken, dachte John, wenn sie nicht ganz so schnippisch wäre. »Eine
Frage habe ich tatsächlich noch.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Was soll
ich tun? Wie kann ich dir helfen?«
»Darf ich
zuvor etwas wissen?« Es klang nicht wie eine Frage.
»Bitte«,
sagte er in genau dem gleichen Ton wie zuvor sie.
»Wie lange
bist du schon Privatdetektiv?«
»Lange genug,
um einige Erfolge vorzuweisen«, erwiderte John so schnell, dass er sich selbst überraschte.
»Welche
Fälle übernimmst du in der Regel?«
Jeden, den
ich kriegen kann, dachte er. Laut sagte er: »Ach, ich bearbeite die unterschiedlichsten
Angelegenheiten. In letzter Zeit ging es um Personenschutz, Betriebsspionage, um
Wirtschaftskriminalität ganz allgemein. Nun ja, kleinere Sachen ebenfalls. Eifersüchtige
Ehemänner, was auch immer.«
Laura sah
ihn an, und er hatte das unangenehme Gefühl, dass sie ihn mühelos durchschaute.
Es kam ihm vor, als könnte sie in seinem Gesicht lesen, dass er in den vergangenen
Wochen und Monaten vor allem für ein Kaufhaus und eine Drogeriekette auf die Jagd
nach Ladendieben gegangen war. Dass seine größten Fälle 15-jährige Mädchen betrafen,
die Lippenstifte und Lidschatten stibitzt hatten.
»Also«,
meinte John schließlich. »Was soll ich für dich tun?« Er dachte daran, wie sie zuvor
auf der Straße mit sich gerungen hatte – offenbar, ob sie bei ihm klingeln sollte
oder nicht.
»Du sollst
das Leben einer Toten in Erfahrung bringen.« Beinahe unwirsch strich ihre Hand durch
die Luft. »Ich will wissen, wie meine Schwester das letzte Jahr ihres Lebens verbracht
hat.«
»Hast du
ein Foto von ihr dabei?«
Wortlos
legte Laura Winter eine Farbfotografie auf den Tisch. John nahm sie nicht an sich,
sondern besah sich nur kurz das Gesicht, das ihm entgegenstarrte.
Aus dem
kleinen Nebenzimmer drang auf einmal ein gekrächzter Gesang zu ihnen: »Love me tender
…«
Lauras Augenbrauen
schnellten in die Höhe. »Wer ist das? Ein … Mitarbeiter?« Skeptisch sah sie ihn
an.
»Sozusagen
meine rechte Hand: Das ist Elvis.«
»… love me sweet …«
»Elvis lebt also.« Ein trauriges Lachen Lauras. »Und
das ausgerechnet bei John Dietz.«
Das Krächzen
verklang.
»Elvis
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