Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Frau
voller Lebenslust. Je länger John das Bild betrachtete, desto anziehender wirkte
Felicitas Winter auf ihn. Und erst nach und nach erkannte er doch Ähnlichkeiten
zwischen den Schwestern: die Wangenknochen, die schmale Nase, das schön geformte
Kinn. Man musste eben nur genauer hinsehen. Galt das nicht auch für diesen Fall?
War das überhaupt so etwas wie ein Fall?
John steckte
das Foto weg und rappelte sich auf. Nachdem er kurz den Blick hatte wandern lassen,
ging er zurück zu seinem Fahrrad, einem altersschwachen, schweren Ungetüm, von dem
die letzten Reste des Lacks abblätterten. Zwischen all den Sporträdern der Studenten
wirkte es wie ein Dinosaurier. Er trat in die Pedale, lavierte um Passanten und
ließ die Altstadt mit dem alles überragenden Münster hinter sich. Allmählich konnte
er es sich erlauben, schneller zu fahren, der Asphalt flog unter ihm dahin, wirkte
wie dunkles morastiges Wasser. Etwa dort, wo die Habsburger- in die Zähringer Straße
überging, stoppte er das Rad und stellte es im Schatten des hässlichen Blocks ab,
der ihm schon bei seinem ersten Besuch keinen Erfolg gebracht hatte. Eine Studentin
verließ gerade das Wohnheim, und John nutze die Gelegenheit, ins Innere zu schlüpfen.
Er schlich an der ersten Tür vorüber, hinter der sich, wie er wusste, der Hausmeister
ein Refugium eingerichtet hatte. Diesmal nahm John nicht den Aufzug, sondern die
Treppe. Ohne Grund. Er hätte ja nicht einmal sagen können, warum er überhaupt hierher
zurückgekommen war.
Jedes Stockwerk
verfügte über eine Küche und je einen Duschraum für weibliche und männliche Studierende.
Reihen von Eingangstüren zu Apartments oder Zimmern, die kaum mehr als zwölf Quadratmeter
Platz boten. Schemenhaft blitzten bei John Erinnerungen auf – an Studentenfeten,
an flüchtige Begegnungen in den Küchen, an Abende in einer solchen Umgebung. Wie
wenig ihm von dieser Zeit geblieben war, als hätte sie nicht mehrere Jahre, sondern
nur ein paar Wochen gedauert.
Im vierten
Stock angekommen, wandte er sich nun zum zweiten Mal jener Tür zu, hinter der sich
einst Felicitas Winter zurückgezogen hatte. Bei seinem ersten Besuch hatte er festgestellt,
dass das Apartment mittlerweile von einer chinesischen Studentin bewohnt wurde.
Eine junge Frau, die sehr gut Deutsch sprach, ihr Misstrauen gegenüber John Dietz
jedoch keineswegs hatte verbergen können. Zu dem Bild von Felicitas wusste sie jedenfalls
nichts zu sagen. John stand verloren auf dem kaum erhellten Gang und betrachtete
die Tür, als könne allein deren Anblick ihm irgendeinen Hinweis geben.
Es war still
im Gebäude. Kein Wunder, die Sonne schien, diejenigen Studenten, die nicht in ihren
Seminaren waren, ließen es sich bestimmt in einem Biergarten gut gehen. Das einzige
Geräusch bestand aus dem gedämpften Gewummer eines Hip-Hop-Songs, der sich von einem
der unteren Stockwerke durch die Mauern quetschte. War das überhaupt ein Fall?,
pochte es irgendwo in Johns Hinterkopf.
»Kann ich
dir helfen?«
Überrascht
fuhr John herum.
Eine junge
Frau sah ihn an, mit gerunzelter Stirn und mindestens so skeptisch wie die Chinesin.
»Suchst du jemanden?«
Etwas verlegen
angesichts seines Erschreckens versuchte er ein Lächeln zustande zu bringen. »Ja,
so ist es.« Er kramte in seiner Jacke und hielt der Fremden das Foto hin. »Allerdings
jemanden, der schon seit einiger Zeit nicht mehr hier wohnt. Seit mehr als einem
Jahr.«
Sie betrachtete
Felicitas’ Gesicht. Auch diese Studentin hier war hübsch, langes blondes Haar zum
Pferdeschwanz gebunden, auf den Wangen ein paar versteckte Sommersprossen.
»Deine Exfreundin?«
Es klang spöttisch.
»Nein«,
erwiderte John rasch. »Ich habe den Auftrag, etwas über sie in Erfahrung zu bringen.
Ich bin Privatdetektiv.«
In Erfahrung
zu bringen, Privatdetektiv. Er genoss es, diese Worte zu betonen. Warum auch nicht,
es bedeutete ihm schließlich einiges.
Die junge
Frau allerdings schien nicht sonderlich beeindruckt. »Was du nicht sagst«, murmelte
sie bloß, bevor sie den Kopf schüttelte. »Nie gesehen.« Ein Schulterzucken. »Ich
wohne erst seit einem halben Jahr hier.«
»Da kann
man nichts machen.« John hatte sowieso mit nichts anderem gerechnet. Nichts und
wieder nichts. Nun war es an ihm, die Schultern zu heben.
Ein Rumpeln,
nur einige Schritte von ihnen entfernt, und zischend öffnete sich die Aufzugtür.
Etwas Quietschbuntes schlenderte auf sie zu, verschwitzt, aber vergnügt, ein Pfeifen
auf den Lippen.
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