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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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weicher war, als sie ihre Mitmenschen glauben lassen wollte? Sollte
er sie anrufen?
    Ein Straßenmusiker
mit verstimmter Gitarre sang ›In the Ghetto‹, laut und falsch, und plötzlich hatte
John ein ganz anderes Gesicht vor Augen. Eines mit einem großen Schnabel, gelbgrünen
Wangen und einem blauen Fleck auf der Stirn. Elvis!
    Der arme
Kerl war ja immer noch abgedeckt. Oder etwa schon verdurstet? Wann hatte John zuletzt
das Wasserschüsselchen aufgefüllt? So konnte das nicht weitergehen. Er sollte den
Papagei nun endlich zu Hause unterbringen. Allerdings hätte er damit lediglich den
Standort gewechselt, nicht jedoch das Problem gelöst.
    Wie auch
immer, er ging los, schneller als zuvor, und trotz des schlechten Gewissens gegenüber
des gefiederten Erbstückes seiner Mutter war es wieder die Frau auf dem Foto, die
seine Gedanken zurückeroberte. »Felicitas«, flüsterte er vor sich hin und betonte
dabei jede einzelne Silbe, während er sich durch die Menschen schob, die Freiburgs
Herzstück bevölkerten. Er versuchte sich auszumalen, wie sie ausgesehen hatte, als
sie diese obskure Sexparty, oder was immer es gewesen sein mochte, mit ihrem Auftritt
bereicherte, im Minirock und mit nackten Schultern. Gleichzeitig sah er sie vor
sich auf der Bank des Polizeireviers, verloren, verstört, verängstigt. Und wiederum
stellte er sich die Frage, die ihn bereits die ganze Zeit plagte. Warum konnte oder
wollte sich die junge Frau an diesem Tag nicht verständlich machen? Weshalb schwieg
sie so beharrlich? Darauf konnte es bloß eine Antwort geben, oder? Drogen. Sie hatte
etwas eingenommen. Oder jemand hatte sie unter Drogen gesetzt. Rauschmittel waren
ja offenbar etwas, das Felicitas Winter nicht allein vom Hörensagen kannte. Rainer
Metzlers verwegene Geschichte sprach jedenfalls dafür. Womit John abermals bei den
Schilderungen des Kellners angelangt war. So etwas in Freiburg, wer hätte das gedacht?
John schüttelte im Gehen unbewusst den Kopf. Eine solch spezielle Abendunterhaltung
mochte zu allen möglichen Städten der Welt passen, nicht jedoch zu der schmucken
Perle des Breisgaus.
    John war
fast an dem Gebäude angekommen, in dem er sein Büro angemietet hatte, als ihn ein
Blick traf. Er hielt inne, starrte zurück in dieses traurige Paar Augen, und auf
irgendwie kuriose Weise betrachteten sie sich gegenseitig über zahllose Köpfe und
Mützen hinweg. »Hey!«, rief John, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte
und zu laufen begann. »Warte doch mal!«
    Allerdings
tat der andere das ganz und gar nicht, drehte sich vielmehr um und begann seinerseits
zu rennen. John nahm die Verfolgung auf, hörte rasch seinen Atem rasseln, lief im
Zickzack durch eine Traube asiatischer Touristen und behielt den breiten Rücken
des Mannes fest im Visier, der wiederum in einen Parka gehüllt war. Erstaunlich,
wie flink sich der schwerfällige Kerl zu bewegen wusste. »Warte!«, rief John erneut,
die vielen verwunderten Gesichter ringsum ignorierend. »Ich hab dir doch geholfen!
Ich will doch nichts von dir!«
    Der Mann
mit dem dicken Schnauzbart bog in eine Seitenstraße, die in Richtung Universität
führte. Eingangs dieser schmalen Gasse geriet John erneut in eine Menschentraube,
vielleicht eine weitere Touristengruppe oder Studenten. Diesmal gestaltete es sich
für John besonders mühsam, sich durchzuschlängeln. Ein Körper nach dem anderen versperrte
ihm den Weg, und als der endlich frei war, erkannte er, dass er den traurigen Bären
verloren hatte. Die Gasse lag offen vor John, von dem Flüchtenden war jedoch nichts
mehr zu entdecken. »Mist!«, fluchte er leise in sich hinein. Irgendetwas war an
diesem Fremden, das ihn unendlich neugierig machte. Offenbar durchstreifte der Mann
Tag für Tag die City, und John wusste, er würde ihn wieder aufspüren können. Freiburg
war keine große, weit verzweigte Stadt, man musste einfach die Augen offen halten.
Was trieb diesen sonderbaren Kerl bloß um?
    Ein paar
Minuten später hatte John seine Pflichten nachgeholt. Elvis war von der Abdeckung
befreit, mit Wasser und Futter versorgt und hatte sogar eine Nackenstreicheleinheit
erhalten, mit der schon Johns Mutter den Vogel immer verwöhnt hatte. Gewohnheitsmäßig
kontrollierte er das Telefon im Büro: Es hatte niemand angerufen. Wie üblich. Aber
wenigstens wurde John so an Tante Ju erinnert. Nicht nur Elvis, sie hatte er ebenfalls
völlig vergessen. Er griff zum Hörer und wählte ihre Büronummer.
    »Was war
denn vorhin

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