Schmidts Bewährung
schöner Regelmäßigkeit Mr. Mansours Gast war, konnte nicht viele Veränderungen im Haus der Crussels dingfest machen, und doch wirkte es insgesamt verwandelt. Zwar hatte der Innenarchitekt der beiden Alten sich alle Mühe gegeben, Jean und Olga vor Exzessen zu bewahren, aber irgendwie hatten sie immer ihren Kopf durchgesetzt, so daß ihre Einrichtung ganz mysteriös Assoziationen an die Billigkaufhäuser vergangener Zeiten und an Versandhauskataloge neuesten Datums heraufbeschwor. Solche Geschmacksentgleisungen kamen nicht mehr vor, seit Mr. Mansour Herr des Hauses war. Das Sonnendeck, auf dem Schmidt stand, war für sich genommen noch dasselbe weiträumige Rechteck aus reinem gleißenden Weiß von makelloser, durch kein Sandkorn und keinen Kratzer verunzierter Oberfläche und thronte wie früher über einer mit Rugosa-Rosen und silbergrünen Gräsern bepflanzten Düne. Der Kunstgriff, der feine Unterschied, bestand womöglich nur in der Anordnung von zahllosen Stühlen in allen Größen und Formen, von Sofas, Tischen und Sonnenschirmen: Auf den ersten Blick wirkten diese Meisterwerke aus Stahl, Aluminium, Segeltuch und Leinen wie zufällig verstreut von Möbelpackern, die jeden Augenblick wiederkommen und sie an einen anderen Ort schaffen konnten. Bei näherem Hinsehen verrieten sie jedoch die sichere Hand und die genaue Kalkulation eines raffinierten Geschmacks. Und dasselbe galt für das ganze Haus samt seinen verspielten Anbauten.
Der Strand ist natürlich etwas Dauerhaftes und verändert sich doch jeden Tag, und jetzt um die Mittagszeit zeigtsich, wie brutal die Stürme und Gezeiten der letzten Woche an ihm genagt haben. Schmidt nahm die Sonnenbrille ab und blinzelte wieder zum Meer, weil er dessen wirkliche Farben sehen wollte. Ein Mann in ausgebeulter schwarzer Kleidung, die nackten Füße manchmal vom Wasser überspült, stand immer noch in unveränderter Haltung an derselben Stelle, an der er Schmidt schon bei der Ankunft – vor einer ganzen Weile – aufgefallen war. Vielleicht war auch der Mann gebannt vom Anblick des Segelbootes, das in der Ferne, nur als zitteriger weißer Pinselstrich am Horizont erkennbar, gegen den Westwind zu kreuzen versuchte und kaum von der Stelle zu kommen schien. Wohin mochte es unterwegs sein? Zum Jachthafen im benachbarten bescheidenen Shinnecock, wo Indianer lange vor den Weißen schon eine Art Kanal angelegt hatten, die den Ozean mit der Bucht verband? Nach New Jersey? Zu den Säulen des Herkules? Ganz plötzlich zuckte der Mann die Achseln und ging schnellen Schritts in östlicher Richtung davon, als habe er beschlossen, das ferne Boot seinem Schicksal zu überlassen, und wolle nun versuchen, die beim Zuschauen verlorene Zeit wieder aufzuholen. Sehnsucht überkam Schmidt, vielleicht hing sie mit dem abrupten Handeln des Mannes zusammen: die Sehnsucht, weit weg zu sein, in einem Leben, das nicht mit selbstverschuldeten Fehlern übersät war. Er wußte, daß dies eine kindische Sehnsucht war, und trank seinen GinTonic aus. Manuel, der Assistent mit dem mediterranen Akzent, hatte ihm erklärt, Mr. Mansour befinde sich schon seit Stunden in einer Konferenzschaltung mit London. Und Carrie hatte ihn versetzt. Sie hätte nach ihrer letzten Seminarübung direkt hierher kommen sollen, so war es verabredet. Statt dessen ließ sie Schmidt durch einen von Mr. Mansours allgegenwärtigen Leibwächtern ausrichten, sie sei auf dem Weg nach Brooklyn zu ihrenEltern und wisse nicht, wann sie zurückkäme. Es sei aber kein Notfall, und er solle sich keine Sorgen machen. Sie werde ihn am Spätnachmittag zu Hause anrufen. Schmidt schloß daraus, daß sie wahrscheinlich über Nacht fortbleiben würde. Nichts dergleichen war vorher besprochen worden. Warum hatte sie ihm nicht im voraus Bescheid sagen können, gerade weil es sich nicht um einen Notfall handelte? Warum hatte sie ihn nicht zu Hause erreicht, zwischen zwei Seminaren, bevor er weggefahren war?
Eigentlich war ihm nicht nach einem Mittagessen mit Mr. Mansour allein zumute. Sowieso hatte man ihn länger warten lassen, als es die Höflichkeit erlaubte. Daß auch Manuel dieser Meinung war, fiel Schmidt ein, als der Assistent ihm einen neuen Drink brachte und bemerkte, er werde Mr. Mansour noch einmal eine Notiz zur Erinnerung an das Essen hinlegen. Die Besorgtheit dieses netten Angestellten war schon beinahe peinlich, und Schmidt fragte sich, ob er den Gin-Tonic nicht lieber ausschlagen und nach Hause gehen solle – vielleicht konnte
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