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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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sind sehr interessant und tragen wirklich was bei, denke ich. Du bist hochnäsig, himmelhoch erhaben. Wie andere Leute sich fühlen, ist dir egal. Mich behandelst du ganz gut, weil du mich bewunderst. Ha! Ha! Das ist kein Witz, das ist wahr. Und du hast märchenhaftes Glück mit Carrie gehabt. An ihr ist alles richtig. Du solltest dir genau ansehen, wie sie mit Leuten umgeht.
    Ich gebe dir recht. Ich habe schwere Mängel.
    Und jetzt denkst du: Wie kommt der Kerl dazu, so den Mund aufzureißen und zu behaupten, daß er mich versteht. Gott behüte. Ein Jude aus Kairo bildet sich ein, er kann denken und fühlen wie Mr. Albert Schmidt. Was für eine Chuzpe!
    Ach komm, Michael. Ich habe eine gute Nachricht für dich. Ich lerne, Juden gern zu haben.
    Das heißt, du wirst gescheiter. Aber Scherz beiseite, jetzt sage ich dir, was ich wirklich meine: Wir haben dieselbe Art von Intelligenz, nur daß ich im ganzen gescheiter und kreativer bin. Gräm dich nicht. Dich hat nicht meine Mutter großgezogen. Der wahre Unterschied ist: Du bist zugeknöpft, ganz verklemmt, ich dagegen, verstehst du, ich weiß, wie man mit Menschen umgeht, ich kann auf sie zugehen. Vielleicht, weil ich das mußte, als ich anfing. Vielleicht kommt’ s auch davon, daß ich bin, der ich bin. Eins laß dir gesagt sein: In Ägypten, in Marokko und damals in den guten alten Zeiten, als wir ankamen, sogar hier, galt: Juden waren nicht aus Stärke umgänglich. In einem gleichst du mir. Du bist nicht mit dir zufrieden.
    Schmidt nickte.
    Siehst du? Ich müßte zufrieden sein mit dem, was ich erreicht habe – du sagst es: ich habe viel erreicht –, aber innerlich bin ich nicht zufrieden. Da liegt der Schlüssel. Glaub mir, als ich in dieses Land kam, hatte ich nicht viel Grund, zufrieden zu sein.
    Die Grundzüge der Mansourschen Familienlegende waren Schmidt nicht unbekannt. Michael hatte sie ganz schmucklos dargestellt, als er nach Carries und Schmidts erstem Besuch im Haus Mansour einen Strandspaziergang mit ihnen machte. Wie vollständig die Erzählung war, wieviel im Schatten blieb und womöglich unglaubwürdig war, das stand auf einem anderen Blatt. Anscheinend hatte die Familie wie alle ägyptischen Juden, deren Geschichten erzählenswert sind, mit Baumwolle gehandelt, nebenher eine Reederei betrieben und großen Reichtum angehäuft, war dann, als Nasser an die Macht kam, Hals über Kopf aus Kairo geflohen, und die Eltern Mansour, der kleine Michael und toute la smala hatten in Marokko, unter dem Schutz von Vettern der Mutter, Zuflucht gefunden. Dieser Zweig der Familie besaß das Privileg eines königlichen Hoflieferanten für Juwelen und war also fast genauso großartig. Auf Marokko folgte ein Aufenthalt in Paris, über dessen Dauer und Finanzierung Michael keine Angaben machte. Grund für den Wechsel aus dieser Stadt derfür einen ägyptischen Juden so großen sprachlichen und kulturellen Affinität nach Amerika, genauer in die Bronx, wo die Eltern sich zum Nähen und Verkaufen von Gardinen herablassen mußten, war die nicht näher beschriebene Treulosigkeit zweier Onkel. Zur Einsicht gekommen, drehten die Eltern Mansour jeden Pfennig zweimal um, sparten eisern und bauten einen Gardinen- und Polsterbetrieb auf. Die Pfennige häuften sich schnell, aber in diesem fremden Land begriffen weder die Eltern noch der Sohn, daß ein junger Mann von Michaels Begabung nach Harvard, Princeton oder Yale gehörte. Statt dessen ging er comme un con an die New York University. Hätten wir das nur gewußt, sinnierte Mr. Mansour. Dann hätte es Harvard oder Princeton sein müssen, das kann ich dir sagen. Sie wußten es nicht, also nahm er die U-Bahn von Forest Hills – die Familie war inzwischen umgezogen – zum Washington Square und studierte Buchhaltung. Und das war nur gut so, denn als er Examen machte, war Mansour Curtains ein Großbetrieb geworden, dessen Diversifikation anstand. Den Rest der Geschichte konnte er sich sparen. Der Aufstieg der Familie Mansour, zuerst der Eltern und dann des Sohnes, war Teil der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, wurde in Fallstudien und Zeitschriftenartikeln abgehandelt und kam, im Zusammenhang mit Michael persönlich, auch in Zeugenaussagen vor Gerichten und Aufsichtsbehörden zur Sprache. Seit dem Autounfall auf der Corniche – sie waren mit ihrem Fahrer unterwegs zu ihrem neuen Haus in Cannes gewesen –, der die Mutter das Leben kostete und den Vater in ein Koma versetzte, aus dem er nicht mehr erwachte, waren die

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