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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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Studienplätzen: Mit seiner Erfahrung sowie hartnäckiger und ausdauernder Recherche klopft er ab, wie sich politische Vorhaben auf dieses Kernanliegen auswirken.
     
    Immer wieder habe ich den 59-Jährigen als investigativen Journalisten erlebt, der auch als alter Hase offen und neugierig geblieben ist. Er möchte Aufklärung im besten Sinne des Wortes betreiben. »Über Pro und Contra saubere Argumentationsketten aufbauen«, damit die Menschen sich selbstständig ein Bild machen können, erklärt er mit sonorer, westfälisch akzentuierter Stimme. Die Interpretation von Ereignissen hält er für zweitrangig, Kommentare mit erhobenem Zeigefinger empfindet er als »oberlehrerhaft«. Wie verträgt sich sein aufklärerischer Ansatz mit der eingeforderten Neutralität eines Nachrichtenredakteurs? »Wer als Journalist unpolitisch ist, hat seinen
Job verfehlt.« Allein schon die Auswahl, was eine Nachricht ist und was nicht, sei oft eine politische Entscheidung. Bei ihm kämen aber alle politischen Lager zu Wort, auch wenn er manches politische Statement absurd oder widersprüchlich findet. Worauf er allerdings allergisch reagiert, ist offensichtliches Lügen. Gut nachvollziehbar - wer lässt sich schon gerne für dumm verkaufen?
     
    Sein letzter Coup im Dienste der bildungspolitischen Aufklärung war die Debatte um nachgewiesene Abschreckungseffekte von Studiengebühren. Reith hat dabei eine Untersuchung zu den Auswirkungen der Campus-Maut öffentlich gemacht, die noch in der Schublade des Bundesbildungsministeriums schlummerte. Die Studie lieferte brisante Ergebnisse, da sie die abschreckende und sozial selektive Wirkung des Bezahlstudiums aufdeckt: Bis zu 18 000 junge Menschen des Abschlussjahrgangs 2006 haben allein aufgrund der Studiengebühren auf ein Studium verzichtet. Diese Botschaft brachte Reith wenige Tage vor dem Dresdner Bildungsgipfel zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten der Länder, ganz nach seinem Motto »Konflikte öffentlich machen«.
    An einem normalen Tag wäre die Gebührenstudie nicht so eingeschlagen, ist er sich sicher. Der Bildungsgipfel und vor allem die Entscheidung der Bundesbildungsministerin, die fertige Studie erst einmal zurückzuhalten, hätten die Brisanz erst so richtig hineingebracht. Ein Glücksfall für Reith und seine Form der beruflichen Selbstbestätigung. Als Agenturjournalist liest er den eigenen Namen nur selten in der Zeitung. Dafür genießt er das eitle Bauchkribbeln, wenn eine seiner Geschichten von der Nordsee bis zu den Alpen von jeder Zeitung gedruckt
wird. »Das ist wie bei einem Schauspieler, der zählt, wie oft der Vorhang nach dem Stück aufgeht.« Damit ist klar: Beim Thema Eitelkeit gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Journalisten und Politikern. Denn auch so mancher Volksvertreter misst seinen politischen Marktwert anhand von Trefferquoten bei Namensrecherchen im Internet.
     
    Muntere bildungs- und hochschulpolitische Debatten zu dokumentieren und katalysieren, auch mal unbequem zu sein - dabei läuft er zu Höchstform auf. Mit Karl-Heinz Reith personifizierte und entwirrte sich jedenfalls mein diffuses Bild von Nachrichtenagenturen. Denn hinter jeder Tickermeldung steckt ein Kopf, ein Journalist mit mal mehr, mal weniger politischem Anspruch, nicht etwa eine anonyme Nachrichtenproduktionsmaschine.
    Position beziehen und halten: Reith war mir stets ein verlässlicher Partner. Dass er als Journalist allen politischen Parteien bisweilen kritisch gegenübersteht, entpuppte sich dabei nicht als Hindernis, sondern eher als hilfreich. Auf alle Fälle konnte ich mich als Stimme der Opposition und Kritiker von Bundesbildungsministerin Schavan sowie des bildungs- und hochschulpolitischen Murks der Großen Koalition immer wieder über seine Meldungen zu Wort melden. Im Nachhinein würde ich sagen: Durch Reith konkretisierte sich für mich das sagenumwobene Geben und Nehmen von Politik und Medien in der Praxis. Win-win-Situationen und Synergieeffekte, Abfuhren und Offene-Türen-Einrennen inklusive. Daneben sorgte Reith mit dem ein oder anderen dezenten Hinweis dafür, dass ich das Berliner Parkett schneller durchdringen und bespielen konnte, anstatt darauf auszurutschen - mandatsbegleitendes Lernen sozusagen.

     
     
    DER AUTOR
    Kai Gehring (geb. 1977) ist jugend- und hochschulpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er war Gründungsmitglied der Grünen Jugend NRW und im NRW-Landesvorstand seiner Partei. Der

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