Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
gewählt hat.
Die Werke von Christa Wolf und Brigitte Reimann, die sie zu Beginn ihres Studiums entdeckt, befördern bei ihr sowohl eine Auseinandersetzung mit Frauenliteratur, als auch mit ostdeutscher Vergangenheit. Natürlich war sie auch in Neubrandenburg und hat das Reimann-Literaturhaus besucht. Es ist eines der letzten Literaturhäuser in Brandenburg. Aufgrund von Geldnöten steht dessen Weiterführung auf der Kippe. Susanne Götze ist alles andere als eine Ostalgikerin, aber die Schließung solcher Literaturhäuser bedauert sie: »Hier wird ein Stück unserer Geschichte, ja der Kultur verdrängt.«
Ihr Doppelleben erfordert Energie. Termine wollen koordiniert, die unterschiedlichen Texte - vom Artikel für Tageszeitungen über Essays fürs Feuilleton bis hin zu ihrer Doktorarbeit - geschrieben werden. Warum nimmt sie diese Mühe auf sich? Für sie existieren beide Welten, Literatur und politische Realität, nicht strikt getrennt voneinander. Es gibt Wechselwirkungen. Die politische Realität beeinflusst literarische Fiktion. So können literarische Werke ein hervorragender Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen sein. Literatur wiederum wirkt auf unsere Weltsicht ein. Diesen Zusammenhang zwischen
politischen und ästhetischen Aufbrüchen untersuchte sie zum Beispiel in einem Artikel über die Kafka-Rezeption im Vorfeld des Prager Frühlings in der ČSSR sowie in der DDR, der in der Erstausgabe des Magazins prager frühling erschien. In einer Auswertungsrunde der Redaktion meinte sie: »Politik, Geschichte und Literatur stilistisch und inhaltlich zusammenzudenken, macht den Reiz eines solchen Artikels aus.«
Es ist genau dieser Wechsel zwischen den Sphären, der für sie Quelle von Inspiration ist. So organisierte sie mit Freunden und Freundinnen einen Lesekreis, der verschiedene Medien wie Film und Musik einbezieht. »Literatur lebendig machen« - lautete die Idee dieses Zirkels, der eine Zeit lang sogar ein eigenes kleines Literaturmagazin mit dem Namen Seelenbinder herausgab. Und dann ist da noch ein weiteres Projekt junger Medienschaffender, mit dem Ziel, darauf hinzuwirken, das atomisierte Dasein der Medienwelt zu durchbrechen und gemeinsam ein anderes Medienverständnis zu entwickeln.
Gelegentlich wird sie angesichts der Vielseitigkeit ihrer Tätigkeiten belehrt, sie müsse sich endlich entscheiden. Doch sie hat sich längst entschieden - gegen die Verengung der eigenen Tätigkeitsfelder und für ein Leben in Vielfalt. Es ist nicht Zerrissenheit, die sie ein Doppelleben führen lässt, sondern die Überzeugung, dass die verschiedenen Bereiche vernetzt gehören. Es gehe nicht um einen guten Mittelweg, sondern darum, vermeintliche Widersprüche zusammenzubringen.
Das vernetzte Leben zieht sie mit Konsequenz durch: Vor kurzem bekam sie von einer Zeitung - passend zum Abschluss ihres Studiums - eine Vollzeitstelle als Redakteurin angeboten. Doch sie lehnte ab. »Sicherlich wäre
vieles mit fester Stelle einfacher. Aber wenn ich es irgendwie schaffen kann, möchte ich es anders hinbekommen.« Da Freiheit die Wurzel ihres Schaffens ist, kann sie sich derzeit nur schwer vorstellen, schon mit Ende Zwanzig Wurzeln zu schlagen. »So wenige Autoritäten wie möglich über mir zu haben, das gehört für mich zu einem selbstbestimmten Leben dazu.«
Wer nun meint, sie sei einfach im Stil der digitalen Bohème blind gegenüber den sozialen Problemen der Soloselbstständigkeit, der irrt. Sie weiß nur zu gut, dass das Leben als freie Journalistin manchmal nur die Freiheit bedeutet, besonders viele Stunden investieren zu müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Susanne Götze sagt selber: »Die Arbeit hat viel von einem Vertreterjob. Du brauchst Jahrzehnte, um wirklich vernünftig davon leben zu können.« Man müsse das Pendeln zwischen den Höhen und Tiefen des Lebens schon sehr mögen, um sich auf diese Achterbahnfahrt einzulassen.
Als ich sie nach ihren Wunschvorstellungen für die Zukunft befrage, muss sie nicht lange überlegen: »Eine Medienkooperative gemeinsam mit anderen Medienschaffenden - das wär’s.« Gemeinsam Projekte entwickeln sowie das eigene Denken im Dialog weiterentwickeln, das ist ihre Welt - aber halt auf Augenhöhe.
DIE AUTORIN
Katja Kipping (geb. 1978 in Dresden) ist stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE, sozialpolitische Sprecherin und seit 2005 Mitglied im Deutschen Bundestag. Die studierte Slawistin gibt das Magazin prager
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