Schmutzengel
zumindest.
»Eine Wohnung, einen Job und einen neuen Freund«, sprudelte ich hervor. Oder meine Bettseite und meinen alten Freund zurück,
dachte ich bei mir, sagte es aber nicht, weil ich noch keine Strategie hatte, wie ich Sue hinaus- und mich wieder hineintricksen
sollte. Ins Bett, meine ich.
Irgendetwas an meiner Aufzählung schien Troll nicht zu gefallen, denn sie rümpfte missbilligend die Stupsnase.
»Du kannst zu mir ziehen«, bot sie an.
Ihr Angebot hatte beiläufig geklungen. Dabei kannten wir uns doch praktisch gar nicht. Ich starrte sie überrascht an.
Vor ein paar Stunden hatte ich noch mit mir und der Welt gehadert, weil ich genau diese Möglichkeit nicht hatte, und jetzt
bot mir diese Frau, mit der ich bisher in der Agentur höchstens zehn Sätze gesprochen hatte, eine Mitwohngelegenheit an. Ich
war verwirrt. Sollte ich wirklich … Aber dann fiel mir siedend heiß ein, was die Kolleginnen in der Agentur über Troll erzählt hatten. Dass sie den Frauen zugetan
sei. In jeder Hinsicht. Es ist nicht so, dass ich ein Problem damit habe, nur fehlt mir die Übung im Umgangmit solchen Leuten. Ich war mir absolut nicht sicher, ob es ratsam sei, unter diesen Umständen gerade mit Troll eine WG zu
gründen.
Vermutlich interpretierte sie mein Schweigen richtig, denn sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Du kannst es dir ja überlegen,
das Angebot steht.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie enttäuscht war. Allerdings war das schwierig festzustellen, denn sie war bereits um den Schreibtisch
herumgegangen und hatte einen ausführlichen Blick auf meinen Lebenslauf geworfen.
»Das klingt so blutleer wie die mumifizierte Leiche von Tante Hildegard, die ein Jahr verschollen war und dann mit einem Strick
um den Hals auf dem Dachboden baumelnd gefunden wurde«, erklärte sie in ihrem weichen Schwäbisch.
Damals brachte mich bereits die Erwähnung einer Leiche aus der Fassung, daher starrte ich sie entsetzt an, was sie aber entweder
absichtlich oder aufgrund totaler Konzentration auf meinen Lebenslauf nicht zur Kenntnis nahm. Diese bildhafte Sprache hat
sie echt drauf, deshalb war sie bei AIQ ja auch eine sehr angesehene Texterin.
»Mein Leben ist blutleer und langweilig«, seufzte ich, nachdem ich das Bild von Tante Hildegards mumifizierter Leiche vor
meinem inneren Auge erfolgreich verdrängt und mich geistig wieder in meine eigene nicht ganz unproblematische Situation zurückversetzt
hatte. »Ich war auf der Schule, habe eine Ausbildung gemacht, niemals den Job gewechselt und gehöre ab sofort zum Heer der
Arbeitslosen.«
Troll überlegte, wobei sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog.
»Du bist in der Werbebranche, meine Süße, und diese Branche ist weder blutleer noch langweilig. Sie ist peppig, hip, kreativ
und voller Farben. Wir erschaffen Träume, handeln mit der Sehnsucht, betören die Menschen und führensie in Versuchung. Wir entfachen Leidenschaft und bieten Befriedigung selbst des niedersten Triebs. Dein Lebenslauf hingegen
liest sich, als seist du behördlich bestellte Teilzeit-Archivarin im Stricknadelmuseum.«
Ich war einen Moment sprachlos. Niemals während meiner Zeit bei AIQ hatte ich mit Sehnsucht gehandelt, Leidenschaften entfacht
oder Träume erschaffen. Das entsprach auch gar nicht meinem eher nüchternen Naturell. Im Gegenteil. Ich hatte einfach nur
meine Arbeit getan und zwar sorgfältig und gewissenhaft. Mir war, als spräche Troll von einem Paralleluniversum.
»Ich gehöre nicht zu den Kreativen. Ich bin die, die sachlich bleibt und Ordnung hält«, entgegnete ich trotzig. Ich hatte
keine Lust auf Pep, auf Hip oder auf sonstigen Quatsch, ich wollte einfach einen neuen Job.
»Versteck deine Telefonnummer in einem Zahlenrätsel, mach aus deinem Namen eine Scrabbel-Aufgabe oder schreib das Anschreiben
in Spiegelschrift, dann kommst du interessant rüber«, schlug Troll vor.
Ich verschränkte die Arme vor dem Körper und lehnte mich zurück. Mit solchem Kinderkram wollte ich nichts zu tun haben.
»Hast du schon ein Zeugnis bekommen?«, fragte Troll.
Ich schüttelte den Kopf. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Bevor ich mich überhaupt bewerben konnte, benötigte ich ein Arbeitszeugnis.
»Ich regle das«, sagte sie, während sie nach ihrer Cordjacke griff. »Schreib du solange deinen Lebenslauf neu. Benutze positive,
kraftvolle Worte, die Energie ausstrahlen, und schreib mindestens ein Hobby dazu. Menschen ohne Hobbys sind Zombies,
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