Schmutzengel
keine Tattoos unterhalb des Kehlkopfes und auch sonst
nirgendwo. Ich sah so aus, wie ich mich fühlte: durchschnittlich, langweilig und erfolglos.
Bei DBQO fühlte ich mich vom ersten Moment wie ein riesenhafter, grobmotorischer, schwerfälliger Eindringling. Ich fiel in
jeder Hinsicht auf. Durch meine enorme Größe, meine vollkommen unpassende Kleidung und dadurch, dass ich als Einzige total
unbeschäftigt war. Arbeitslos im wahrsten Sinne des Wortes.
»Herzlich willkommen«, hatte die Dame an der Rezeption geflötet. »Nehmen Sie doch bitte noch einen kleinen Moment Platz.«
Angesichts des flachen Sofas, auf das sie zeigte, war ich immerhin froh, weder das Kostüm noch überhaupt einen Rock zu tragen.
Das war allerdings auch der einzige Anlass zur Freude.
Selbst am Empfang der Agentur herrschte eine derartige Betriebsamkeit, dass mir allein vom Zuschauen schwindelig wurde. Überhaupt
war der Empfang eine einschüchternde Zurschaustellung von Reichtum und Wichtigkeit, wenn auch nicht von Kreativität. Es hätte
der Empfang einer beliebigen Anwalts- oder Steuerberatungssozietät sein können. Marmor, Granit und Edelstahl beherrschten
die Szenerie, der Empfangstresen war aus einem dunklen, glänzend polierten Holz gefertigt und das Firmenschild schwebte auf
einer Wolke aus Licht vor der Rückwand.
Die drei Damen am Empfang sowie alle Menschen, die vorbeikamen, mich neugierig anstarrten und freundlich grüßten, waren schön.
Die Frauen zierlich und die Männer gut aussehend. Die Frauen trugen fast alle hohe Absätze, auf denen sie in so unglaublicher
Geschwindigkeit hin und her stöckelten, dass ich die schön geformten Fesseln nur ganz verwischt wahrnahm. Die Männer trugen
enganliegende Hemden, Cordhosen mit Schlag und Schuhe mit riesigen Spitzen, über die man normalerweise stolpern müsste, die
bei ihnen aber noch nicht einmal einen Knick aufwiesen.
Kurzum: Ich fühlte mich wie ein afrikanisches Panzernashorn auf einer Orchideenwiese. Es erschien mir unmöglich, auch nur
einen Schritt zu tun, ohne ein schreckliches Desaster anzurichten oder eins dieser zarten, elfenhaften Wesen umzurempeln.
Entsprechend verkrampft war ich während des Gesprächs.
»Erzählen Sie uns doch bitte, welche Aufgaben Sie bei Ihrem früheren Arbeitgeber hatten«, bat mich die Dame im knittrigen
Leinenanzug, aber mit ganz sicher geliftetem Gesicht, die sich als Violetta-Viviana Dierenbacher-Schulz,
Director-Creative-Staff-Human-Resources-and-Strategic-Personnel-Planning,
vorstellte.
Sie und der schwarz gekleidete Mann, der sich nicht vorgestelltund mir nicht die Hand gegeben hatte, blickten mich eher gelangweilt an.
Ich war irritiert. »Das steht alles in meinem Zeugnis, mehr kann ich Ihnen nicht erzählen.«
»Aber Sie haben uns ja noch gar nichts erzählt. Ein persönlicher Bericht ist doch immer besser als ein Blatt Papier. Also?«
Ich bemühte mich, die tollen Formulierungen aus dem Zeugnis zu wiederholen, konnte mich aber in meiner Aufregung nicht genau
daran erinnern. Also stammelte ich etwas von Kalkulation und Organisation.
»Was genau haben Sie denn organisiert?«, fragte Frau Dierenbacher-Schulz.
»Hotelzimmer, Reisen, Projektmeetings. So Sachen halt.« Ich bemerkte selbst, dass ich mich denkbar schlecht verkaufte, konnte
aber nichts dagegen tun. Es war, als beobachte ich diese Bewerberin von außen, ohne ihr helfen zu können. Es war quälend.
Mir brach der Schweiß aus.
Frau Dierenbacher-Schulz warf einen Blick in meine Unterlagen. Ihre Gesichtshaut kräuselte sich auf der Stirn zu einer hauchfeinen
Runzel. »Sie haben Kalkulationen erstellt und Budgets überwacht, entnehme ich ihrem Zeugnis?«
»Ja.«
Die kurze Antwort stellte niemanden zufrieden, auch mich nicht. Aber ich wusste beim besten Willen nicht, was ich hätte hinzufügen
können. Der schwarze Mann hatte inzwischen die Augen geschlossen und massierte sich mit Zeigefinger und Daumen der rechten
Hand die Nasenwurzel. Er trug einen riesenhaften, goldenen Siegelring.
»Hat Ihnen die Arbeit Spaß gemacht?« Der Tonfall hatte an Schärfe zugelegt.
Ich nickte. »Auf jeden Fall.« Ich hörte selbst, wie lahm das klang. »Ich habe auch die Pflanzen gepflegt.«
Mist! Die Pflanzen hatte ich auf keinen Fall erwähnen wollen. Wieso waren mir die jetzt herausgerutscht?
Frau Dierenbacher-Schulz erhob sich. »Danke, dass Sie gekommen sind, Frau Leyenbäcker.«
»Leyendecker«, murmelte ich.
»Wir werden uns in den
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