Schmutzengel
nächsten Tagen bei Ihnen melden.«
Der schwarze Mann hatte die Augen nicht wieder geöffnet und stellte sich tot, also schüttelte ich nur eine Hand und verließ
den Ort meiner Demütigung so schnell ich konnte.
Ich begab mich ins nächste Café, bestellte Cappuccino und Kuchen, trank den Cappuccino und ließ den Kuchen zurückgehen. Heulend.
Ich bestellte einen zweiten Cappuccino und zog Bilanz. Ich hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie auf eine richtige Arbeitsstelle
beworben, nur damals auf den Ausbildungsplatz. Offenbar benötigte ein solcher Termin eine ordentliche Vorbereitung. Daran
sollte ich arbeiten. Außerdem war ich sicher, dass es besser liefe, wenn ich mich in meiner Haut und der darüber getragenen
Kleidung wenigstens einigermaßen wohlfühlte. Ich bezahlte die Getränke und den nicht gegessenen Kuchen, prüfte den Füllstand
meines Portemonnaies und ging einkaufen. Eine schwarze Hose, sehr modisch geschnitten, einen schwarzen Pullover, sehr modisch
geschnitten, sowie eine lange Kette mit großen Glasperlen, ebenfalls in Schwarz. Ob man bei Ketten von einem modischen Schnitt
sprechen kann, entzieht sich meiner Kenntnis, aber immerhin war diese Art Accessoire gerade sehr angesagt. Und farblich entsprach
ich voll und ganz dem Dresscode der Branche.
Das zweite Vorstellungsgespräch lief schon viel besser, obwohl ich die halbe Nacht davor nicht schlafen konnte, weil Sue und
Greg ihren ersten Streit hatten, der mit einem Schrei begann. Einem Schrei wie von jemandem, der TanteHildegard am Dachbalken findet. Dann ging der Streit richtig los, wobei ich durch die Wand nicht verstehen konnte, worüber
die beiden stritten.
Das Gezeter dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann klingelte es an der Wohnungstür. Ich fühlte mich nicht zuständig, mich
um den nächtlichen Besucher zu kümmern, und schlief angesichts der plötzlich eintretenden Stille ein. Aber ich schlief schlecht.
Ich träumte von Tante Hildegard, die nicht meine Tante war, die ich niemals gesehen hatte und die doch seit geraumer Zeit
durch mein Bewusstsein geisterte. Ich träumte auch von meinem bisher einzigen Vorstellungsgespräch, das katastrophal schlecht
gelaufen war und das sich in meinen Träumen zu einer wahren Blutorgie steigerte, als das Panzernashorn vier Püppis und die
Personalleiterin mit dem Vierfachnamen und dem Endlostitel auf sein Horn spießte und mit einem Strauß Orchideen garnierte.
Und irgendwie war auch Sue unter den Opfern.
Ich war unausgeschlafen und sah auch so aus, als ich zu meinem nächsten Vorstellungsgespräch erschien. Immerhin hatte ich
einen Kaffee und ein klitzekleines Eckchen von einem Croissant zu mir genommen, bevor mein Schaulaufen begann.
Wieder ließ man mich im Empfangsbereich sitzen und wieder schien es mir, als käme jede Vollzeit-, Teilzeit- und Aushilfskraft
einmal vorbeigewieselt, um mich in Augenschein zu nehmen. Meine Aufregung ließ allerdings in dem Maße nach, in dem ich Gesprächsfetzen
der Schicken und Hippen aufschnappte.
»… immerhin ist es
non-profit
, das ist ein
Challenge
, das kann man nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln …«
»… Projekte in der Pipeline, die wir zeitnah
forecasten
und
hopefully
realisieren.«
»… im
Yellow-Press-Benchmark
haben wir starke
Assets
, wenn nicht sogar die
Leadership
, das müssen wir in der
Q-and- A-Session
herausstellen …«
»… wir müssen den USP am POS definieren, dann brauchen wir ein heißes
Tool
…«
Solchen Schwachsinn war ich von AIQ gewohnt, das belastete mich nicht mehr. Vielmehr war ich ein bisschen enttäuscht, dass
hier derselbe Schwall heißer Luft durch die Flure wehte wie in der deutlich provinzieller wirkenden Mini-Agentur, in der ich
mehr als zehn Jahre meines Lebens verbracht hatte.
Oder vergeudet hatte?
Der Gedanke überfiel mich einfach so und verwirrte mich. Warum vergeudet? Bis zu meiner Kündigung war es mir doch gut gegangen,
oder nicht? Ich hatte meine Arbeit gern gemacht und ich war bestens in dem, was ich tat. Mit meiner Kollegin Susanne verstand
ich mich gut. Auch mein Privatleben war zufriedenstellend gewesen. Oder?
»Frau Leyendecker, herzlich willkommen. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen.«
Der so schön daherredete, sah auch gut aus, duftete gut, wenn auch ein kleines bisschen zu aufdringlich, und legte sogar ansprechende
Manieren an den Tag. Er hätte meiner Oma sicher gefallen. Der Gedanke
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