Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Mitarbeitern – wundert sich ein Autor »über die Hartnäckigkeit einiger Ost-Berliner« und verlangt »für die Verfasser ein sofortiges Einreiseverbot nach West-Berlin.«
Man könnte jetzt mit hoher Treffsicherheit sagen, woher die einzelnen Journalisten stammen, zumal Medien ein beliebtes Tummelfeld für ahnungslose Experten aller möglichen Befindlichkeiten sind. Doch so einfach ist es nicht. Immerhin belegen die Kollegen ihr Unverständnis mit Umfragen unter Betroffenen und Fachleuten. »Absurd« beziehungsweise »unsäglich« findet Bezirksbürgermeister Matthias Köhne die Plakate und glaubt: »Wir waren in dieser Hinsicht schon mal weiter.« Zweifellos ein Irrtum, aber das sei einem Diplompolitologen aus Schleswig-Holstein nachgesehen, der erst seit 1994 in Ost-Berlin lebt. Auch der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann wundert sich in der Berliner Zeitung über das »provinzielle Bewusstsein«. Immerhin wohnt er schon seit 1996 am Kollwitzplatz, und in seinem Alltag – so der gebürtige Schwabe – seien Ost-West-Differenzen kein Thema mehr. Wahrscheinlich stimmt das sogar, denn am Kollwitzplatz sind sie ja im Wesentlichen unter sich, aber in einem Punkt irrt auch der Soziologie-Professor: Er sei froh, sagt er, dass sich die Kampagne gegen Landsleute und nicht gegen Menschen aus noch fremderen Kulturen richte. Dabei richteten sich die Plakate doch genau dagegen, ausdrücklich sogar! Und fremder als nach solchen Aussagen kann man sich gar nicht werden.
So zieht sich das durch alle Berichte: »Die haben wohl die Zeit verpennt«, echauffiert sich in der Morgenpost eine Bankangestellte, die von Köln in den Prenzlauer Berg gezogen ist. Philipp Strube, der 1980 aus Westdeutschland kam und nach einer Karriere als Sozialarbeiter in Kreuzberg nun den beliebten Wochenmarkt am Kollwitzplatz betreibt, sagt: »Ost-West spielt heute keine Rolle mehr.« Auch er mag recht haben: Die Probleme, die sein Markt derzeit mit einigen klagenden Anwohnern aus dem eigenen Kulturkreis hat, haben damit sicher nur am Rand zu tun.
Man kann leider nur spekulieren, warum in den Umfragen fast ausschließlich Ost-Berliner zu Wort kommen, die das noch nicht allzu lange sind. Finden die Reporter doch mal einen Einheimischen, wollen die bei heiklen Ost-West-Fragen lieber namenlos bleiben. »Ich glaube, es handelt sich einfach um die Meinungsäußerung von Leuten, die hier keiner mehr versteht«, zitiert die Berliner Zeitung immerhin »eine Frau, die schon lange vor der Wende in Prenzlauer Berg gelebt hat.« Menschen, die im Westen aufgewachsen seien, sagt sie, könnten das nur nicht herauslesen. Jens-Holger Kirchner, der als Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung auch für wild geklebte Plakate zuständig ist, äußert sich in der West-berliner Morgenpost ähnlich vorsichtig: »Die Ost-Berliner haben so viele Veränderungen durchgemacht, die regen sich über den Wandel in den letzten fünf Jahren bestimmt nicht auf.«
Er legt damit einen ungeheuerlichen Verdacht nahe: Kleben die Fremden die fremdenfeindlichen Plakate womöglich selbst? Es sähe ihnen ähnlich: Ich selbst kenne Exemplare, die sich ungeniert beklagen, in den so genannten Szene-Vierteln sei nichts mehr so, wie es war, als sie sich dort breitmachten. Eine Zeitlang haben sie noch versucht, sich mit alten Trainingsjacken der Nationalen Volksarmee zu tarnen und gleichzeitig damit verraten. Was sie nämlich nicht wissen: Wer die einmal tragen musste, wird das nie wieder freiwillig tun. Auch die verbreitete Vorliebe für alte Ost-Mopeds und anderen Quatsch aus dem Fachhandel für Nostalgie sind Indizien. Warum sollen sie also nicht zu denen gehören wollen, die Leute wie sich selbst nicht mögen? Solche narzisstischen Phänomene der Über-Identifikation mit Opfern kennt man aus der Trauma-Psychologie oder der Vergangenheitsbewältigung. Schaut man genau hin, stammen tatsächlich viele, die sich auch öffentlich für »Milieuschutz« in den Berliner Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain einsetzen, gerade nicht aus diesen Milieus, sondern haben sie erst kopiert, dann okkupiert und schließlich zu Hause so lange angepriesen, bis sie ihre Zauberlehrlinge nicht mehr bremsen und die Mieten selbst nicht mehr bezahlen konnten.
Wie ich die Plakate verstehe, geht es nicht um arm oder reich, gegen »gentrification« oder »gegen Schwaben«, wie dpa und andere vermuten, weil dieses ohnehin bedauernswerte Völkchen schon zu Mauerzeiten als die peinlichsten Berliner galten.
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