Schneckle im Elchtest
Begegnung mit einer respektabel hohen Fahrbahnkante gehabt. Zum Glück war ich gerade in Heslach – bei MO um die Ecke – und hatte es mit meiner lädierten Kutsche gerade noch bis vor seine gar nicht bescheidene Jugendstilvilla auf der Heslacher Höhe geschafft. Mit einem flatternden Seidenhemd war er wie eine Fledermaus um meinen Corsa herumgeflogen und hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
»Auauauau, das ist aber unschön! Da ist sicher nicht nur ein neuer Reifen fällig. Dafür, dass die Achse nicht verzogen ist, kann ich nicht garantieren«, hatte er gejammert, kurz innegehalten und dann maliziös gelächelt. »Weißt du was? Am besten nimmst du in den nächsten Tagen mein kleines Schätzchen. Deine Rostlaube lässt du mir hier.« Als ich ihn ungläubig angestarrt hatte, hatte er mir zugezwinkert und geraunt: »In der Werkstatt, die sich um meinen Fuhrpark kümmert, gibt es vielversprechende Verstärkung: einen wahren Adonis. Schön wie der junge Morgen!« Er hatte tief geseufzt. »Ich werde darauf bestehen, dass er hierherkommt und sich dein Vehikel zur Brust nimmt. Wer weiß ... vielleicht kann ich ihn mir danach zur Brust nehmen!«
Zufrieden wie ein Kater, der das Türchen vom Vogelkäfig aufbekommen und die Aussicht auf ein leckeres Menü hat, hatte er mir anschließend den Autoschlüssel in die Hand gedrückt und mich davongescheucht.
Deshalb war ich am Cancan-Abend mit einer nachtblauen E-Klasse unterwegs – und ging keine Sekunde davon aus, dass Steve tatsächlich glaubte, dass das meine war. Ich meine – hallo? –, er spielte doch in derselben miesen Gehaltsklasse wie ich. Unser komplettes Brutto-Jahresgehalt hätte nicht dafür ausgereicht, dieses Geschoss zu finanzieren! Abgesehen davon waren für mich Autos dazu da, mich von A nach B zu transportieren. Fertig.
Und nun ließ ich mich eben von diesem schiefzahnigen Knipser durch die Nacht transportieren und hatte recht piratige Aussichten. Sehr nett fühlte sich das an. Ich riskierte einen Seitenblick. Er auch.
Dann begann er mit einem Lächeln am Radio herumzufingern: »Mal schauen, was eure Provinzsender so von sich geben.« Er fand »Nothing else matters« von Metallica und grinste noch mehr.
Ich grinste schief zurück. Die Situation war unglaublich. Ein Pirat. Ich. Das beste Lied der Welt – und mir war kotzübel. Wie lustig. Endlich erlebte ich die perfekte Situation und wusste ganz genau, dass ich sie gleich versemmeln würde.
Der Pirat warf nun eindeutig feurige Blicke in meine Richtung. Ich lachte inzwischen leise vor mich hin. Vor allem, weil er die Kurven sehr schnittig nahm und mein Mageninhalt begann, sich immer deutlicher bemerkbar zu machen. Wir bogen gerade am Männerwohnheim an der Nordbahnhofstraße um die Ecke, da wusste ich, dass es sich nur noch um Sekunden handeln konnte, bis die Katastrophe eintreten würde.
Steve brauste die Friedhofstraße hoch. Still begann ich meinen Countdown. 10, 9, 8 ... Mit Schmackes trat Steve auf die Bremse und die blaue Flunder rüttelte mich einmal kräftig durch. 7, 6, 5 ... Der Pirat stellte den Motor ab, öffnete den Gurt und drehte sich zu mir. 4, 3, 2 ... Ich machte dicke Backen.
Steve schaute ungläubig. »Sabine?«
Ich schaute mit großen, glasigen Augen zurück.
»Sabine? Du wirst doch jetzt nicht brechen?«, stammelte er fassungslos.
»
Doch!
«
Ich riss die Tür auf. Und zum ersten Mal in meinem Leben machte ich die Erfahrung, dass es nicht besonders bekömmlich ist, den Mageninhalt während eines Lachkrampfes von sich zu geben. Ich fasste es einfach nicht. Das war mit Abstand das Groteskeste, was mir je passiert war. Und es dauerte seine Zeit.
Als ich wieder aus meiner Upside-down-Position auftauchte, war der Fahrersitz leer. Der Schlüssel baumelte leise im Zündschloss. Ich zuckte mit den Schultern. Egal. Diese Geschichte war den Verzicht auf den Piraten wert gewesen. Schließlich konnte ich noch meinen Enkeln davon erzählen. Außerdem war der Pirat o-beinig und gerade mal einssiebzig klein. Geschenkt.
Ich schnappte mir also den Schlüssel, wuchtete mich ächzend aus der Flunder und fand mich ein paar Momente später irgendwie in meinem Bett wieder. Und während sich das noch eine ganze Weile weiter in eine andere Richtung als die Zimmerdecke drehte, lachte ich mich in den Schlaf.
Sturm und Drang oder:
Pläne mit schwedischen Folgen
Am nächsten Morgen erwachte ich mit erstaunlich klarem Kopf – was nicht zu erwarten gewesen war! – und blendender
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