Schneckle im Elchtest
Laune. Es war schon eine feine Sache, wenn man sich noch am Tatabend die begangenen Sünden durch den Kopf gehen ließ und am nächsten Tag für neue Unternehmungen bereit war. Schwungvoll und vor mich hingackernd sprang ich aus dem Bett.
Heute war Samstag – seit drei Jahren Silkes und mein Badetag im Leuze. Laut vor mich hinsingend pfefferte ich meinen Badeanzug, ein Handtuch, Badelatschen und ein Duschgel in meine Badetasche. Ich liebte das Leuze. Trotzdem musste ich mich häufig dort hinquälen, weil ich am Freitagabend zuvor übel versumpft oder einfach viel zu spät ins Bett gegangen war. Aber jetzt ging es mir nicht nur wunderbar, sondern ich hatte auch noch eine hervorragende Geschichte in petto, die ich Silke gleich brühwarm erzählen musste. Sie war mit ihren Männergeschichten deutlich wählerischer als ich. Während mir mehr der schlaue, freche, schlaksige Männertyp gefiel, sollte ihr Traummann nach Möglichkeit ziemlich klein, untersetzt bis mollig, mit leiser Stimme, gepflegtem Schwäbisch, guten Manieren und sehr feinen Händen sein. Außerdem musste er blond sein und einen sehr hohen Haaransatz mit deutlicher Tendenz zur Glatze haben. Leider gab es diesen Männertyp nicht annähernd so oft, wie man vielleicht denken würde. Die meisten kleinen, dicken Männer machten die fehlenden Zentimeter nämlich mit Rübezahlauftreten, einem schmetternden Älbler-Schwäbisch und einem wilden Haarschopf wett.
In der Tat war Silke erst zweimal in ihrem Leben diesem Typ begegnet. Und zweimal hatte die Liebe mehrere Jahre, fast Jahrzehnte, gehalten.
»Ich weiß genau: Der Dritte, der ist es. Endgültig«, schwärmte sie mir immerzu mit schmachtendem Augenaufschlag vor.
Ich verdrehte dann meinerseits die Augen und versuchte ihr die Brad-Pitt-Typen schmackhaft zu machen, die ihr mit heraushängender Zunge hinterherliefen. Silke war nämlich Miss Perfect. Jede Hollywood-Schauspielerin hätte sich bei ihrem Anblick eingesargt: ein blauschwarzer, immer perfekt sitzender Bob, eine Wespentaille bei ausgeprägtem Balkon, quasi nicht vorhandene Hüften, riesengroße blaue Augen, schneeweiße Haut und ein immer knallrot geschminkter Kussmund von einem Ohr bis zum anderen machten sie zum Ferrari unter den Schneewittchen-Femme fatales. Dabei war vor allem fatal, dass hinter der sexyverruchten Ferrari-Fassade ein furchtbar zurückhaltender und gutmütiger Kerl steckte, der sich einen rostigen Kadett Kombi als Pendant wünschte. Es war zum Verrücktwerden.
Zum Glück hatte ich meinerseits ein ganz gesundes Selbstbewusstsein, sonst hätten mich die vielen begehrlichen Männerblicke, die ganz automatisch und ausschließlich auf der unerreichbaren Silke ruhten, wenn wir zusammen unterwegs waren, sicher zu täglichen Schönheits-OPs, nie endenden Hungerkuren, harten Drogen und am Ende ins Kloster getrieben. Aber, wie gesagt, zum Glück fand ich mich selber ziemlich gelungen. Ich war weder zu groß noch zu klein, nicht gerade dünn, weil ich wirklich furchtbar gerne aß, aber auch nicht wirklich pummelig. Ich hatte nicht nur ein loses Mundwerk, sondern auch eine Kleopatra-Nase, Sommersprossen und ziemlich durchgedrehte Locken, die ich ständig umfärbte – gerade waren sie, zufällig passend zu Steves Kopfschmuck, kupferrot, auch wenn mein Bruder ziemlich konsterniert gefragt hatte: »Und wieso jetzt Orange?« Außerdem hatte ich meistens gute Laune – und das unterschied mich eindeutig von den meisten anderen Single-Damen mit dreiunddreißig. Auch passierten mir ständig verrückte Sachen, und wenn ich nicht gerade mit Silke unterwegs war, lernte ich auch immer wieder einen sehr netten, leicht schrägen jungen Mann kennen, der meine Qualitäten auf Anhieb zu schätzen wusste. Schräg musste er sein. In seiner Kleidung, seinem Job, seinem Wesen. Und herzlich willkommen war mir alles über einsfünfundachtzig. Alles darunter schickte ich gerne zu Silke.
Im Prinzip ließ sich mein Traummann auf einen Nenner herunterbrechen: Mir war alles recht, nur kein kleiner, humorloser, spießiger Schwabe.
Und genau die würden sich jetzt in Massen im Leuze tummeln. Deshalb tat es heute der alte, ausgeleierte Badeanzug; die Schminke ließ ich auch zuhause. Schließlich schnappte ich meine Badetasche, galoppierte bestens gelaunt die Treppe hinunter, hielt die Luft auf der Etage an, auf der die Parfümverkäuferin wohnte, und tänzelte zu MOs Flunder.
Dort blieb ich ungläubig stehen. Der nächste Lachanfall bahnte sich schon wieder an:
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