Schneckle im Elchtest
Prolog • On the road again oder:
Schneckles-Retter
»Krrrx!«
Da war es wieder:
Das
Geräusch. Selten nur verhieß es etwas Gutes. Ein paar Mal hatte ich es mit meinem Auto zustande gebracht. Nicht dass mich zerkratzter Lack sehr gestört hätte. Aber man zieht doch unwillkürlich den Nacken ein, wenn einem das »Krrrx!« die eigenen miesen Fahrkünste unter die Nase reibt.
Vor drei Stunden hatte ich dann ausnahmsweise ein für mich sehr wohlklingendes »Krrrx!« produziert, als ich meinem Ex ohne jedes schlechte Gewissen das Nasenbein zertrümmert hatte. Doch genau dieses ausnahmsweise wunderbare »Krrrx!« rächte sich jetzt unangenehm buddhistisch: Das rechte Rädchen meines dreißig Kilo schweren Discounter-Trolleys, den ich seit ein paar Stunden über eine matschige südschwedische Landstraße hinter mir hergeschleppt hatte, war ab. Mit einem »Krrrx!«.
Das kam jetzt zwar nicht überraschend, war aber doch höchst lästig. Schon seit über einer Stunde hatten sich die ohnehin nicht ganz so hochwertigen Räder über die unerwartete Beanspruchung beschwert. Ihr jämmerliches Quieken hatte sich angehört wie eine Horde liebestoller Schweine nach einjähriger Enthaltsamkeit. Dann hatte ich mit dem rechten Rad schließlich den einzigen Stein auf der sonst endlosen sandigen Matschpiste erwischt und so dem Krach mit einem Schlag den Garaus gemacht. Nun durfte Matthias Claudius wieder jubeln: »... der Wald steht schwarz und schweiget.« Wenigstens war der Mond noch nicht aufgegangen – und sollte er das doch tun, blieb es in Småland trotzdem hell. So weit reichte mein Halbwissen über schwedische Planetenkonstellationen allemal.
Das war leider aber auch das einzig Positive, das mir in meiner Situation einfiel. Denn seitdem ich vor zehn Tagen dieses Land betreten hatte, war alles, aber auch wirklich alles bis ins kleinste Detail schiefgelaufen: Der geplante Liebesurlaub mit Steve, der halben Wundernudel mit der zermatschten Nase, und das Kennenlernen der viel gepriesenen Schwiegerfamilie in spe hatte sich zum familiären Supergau entwickelt. Und die darauffolgende Liebes-Kernschmelze hatte zu besagtem wundervollen »Krrrx!« und dem Abbrechen jeder Beziehung zu dem feinen Herrn sowie seinem Auto geführt.
Deshalb stand ich nun einsam in den endlosen schwedischen Wäldern und dachte über deutsche Dichter und Sonneneinfallswinkel nach. Dazu passte, dass ich hier zwar keinen Handyempfang und keinen öffentlichen Nahverkehr hatte, aber dafür ab sofort mit einer verstauchten rechten Hand den dreißig Kilo schweren Trolley tragen durfte. Wann kam eigentlich das Ufo, das mich kidnappte, um für den Rest meines jämmerlichen Lebens abartige medizinische Versuche mit mir anzustellen? Eine echte Alternative wäre natürlich auch der erste nichtvegetarische Elch Schwedens, der mich als Amuse-Gueule auf die Speisekarte setzte.
Dabei hatte ich mir meinen Liebesurlaub à la Astrid Lindgren so wunderbar vorgestellt: Ich wollte nicht nur auf Händen getragen werden, sondern auch mal den Kopf in eine antike Suppenschüssel stecken und damit stundenlang kichernd Pferdekutsche fahren. Außerdem hatte ich vorgehabt, ein besoffenes Schweinchen mit zur anstehenden Familienfeier zu bringen und damit die intellektuelle Gesellschaft aufzumischen. Und zu guter Letzt hatte ich alle Einzelheiten der After-Familien-Holzmännchen-Party, bei der außer Steve noch zwei knackige blonde Schwedenlümmel im Tischlerschuppen eine Rolle spielen würden, bis ins kleinste Detail geplant.
Von meinen ins Erwachsenenalter herübergeretteten Kindheitsträumen waren allerdings nur drastisch variierte, obsessive Wunschvorstellungen übrig geblieben: Steve, dessen Kopf in die Suppenschüssel einbetoniert wird. Steve, der von dem besoffenen Schweinchen im Matsch begraben wird. Steve, der von besagten knackigen blonden Schwedenlümmeln im Tischlerschuppen als Dartscheibe benutzt wird.
Astrid Lindgren hatte bei mir zu hundert Prozent versagt – samt den malerischen Småland-Weiten. Denn statt endlosen Streifzügen durch duftende, blühende Wälder voller freundlicher Märchengestalten hatte Schweden für mich nur das mieseste Ferienhaus der Welt inklusive größtenteils ätzender Gesellschaft parat gehabt. Der Gerechtigkeit halber musste man zwar sagen, dass diese ätzende Gesellschaft mit Schweden nicht mehr zu tun gehabt hatte als das Ferienhaus. Nichtsdestotrotz konnte mir Schweden gestohlen bleiben. Vor allem, weil es seit meiner Ankunft vor zehn
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