Schnee an der Riviera
Nelly war verblüfft, es war, als hätte sie soeben einen winzigen Blick auf eine neue und ungeahnte Welt erhascht.
»Worauf stützt sich Ihre Gewissheit, Dottor Pittaluga? Haben Sie vielleicht Informationen, die wir bei der Polizei nicht haben? Einblicke, die uns fehlen?«
»Ich ... ich habe nur vollstes Vertrauen in meine Tochter. Hier liegt ein Missverständnis vor, Dottoressa. Wir müssen uns gar nicht so echauffieren. Ich verstehe, dass die Ermittlungen niemanden verschonen, doch ich möchte Sie bitten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, und vor allem, einen bekannten und wohlgelittenen Namen wie den meiner Familie nicht ohne Beweise in die Sache hineinzuziehen. Wir sind ein großes Unternehmen, und dunkle Flecken sind nun einmal nicht gut fürs Geschäft. Das ist alles. Bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihnen mit meinen Äußerungen unbeabsichtigt zu nahe getreten bin. Und was Monicas Umgang betrifft, so können Sie sicher sein, dass wir von nun an ein sehr viel strengeres Auge darauf haben werden. Sollte sie etwas ausgefressen haben, so handelt es sich ganz bestimmt nur um Kindereien, um arglose Fehler. Doch ...«, er machte eine Kunstpause, »denken Sie daran, dass, sollte uns jemand schaden wollen, wir über jegliche Mittel verfügen, uns zu wehren.«
»Wollen Sie mir drohen, Dottor Pittaluga?«
»Sie missverstehen mich schon wieder, nein, ganz und gar nicht. Ich ...«
Nelly stand auf.
»Sollten wir noch einmal mit Ihnen oder einem Ihrer Angehörigen reden müssen, lassen wir es Sie wissen. Angesichts der Tatsache, dass wir mitten in äußerst brisanten Ermittlungen stecken, die auch sie betreffen, sollte Monica bis auf weiteres nicht die Stadt verlassen. Das ist alles, Dottore. Auf Wiedersehen.«
Gianandrea Pittaluga blieb wie vom Blitz getroffen hinter seinem Schreibtisch sitzen. Er machte Anstalten aufzustehen, um sie zur Tür zu bringen, doch Nelly war bereits draußen und betrat eilig den Aufzug. Als sie im Erdgeschoss ausstieg, bemerkte sie im Vorbeigehen einen Mann, der vor dem anderen Aufzug wartete, um nach oben zu fahren. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, doch der Groschen fiel erst, als sie schon fast bei der Tür war: Es war der Kerl, der sie am Morgen verfolgt hatte. Sie stürzte zurück zum Fahrstuhl, um ihn aufzuhalten, doch er war bereits im Aufzug verschwunden, und die Türen glitten vor ihrer Nase zu. Sie sah nach, wohin der Aufzug unterwegs war: er fuhr ins oberste Stockwerk. Sie ging zum Pförtner.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, ich kenne den Mann, der gerade in den Lift gestiegen ist, aber der Name fällt mir nicht mehr ein. Arbeitet der hier?«
»Aber klar. Das ist Matteo Albini, das Faktotum von Dottor Pittaluga von der Spediworld.«
»Valeria, ich brauche Informationen zu einem gewissen Matteo Albini, zurzeit angestellt bei Gianandrea Pittaluga. Frag’...«
»Selbstverständlich, Dottoressa, ich weiß, was zu tun ist«, antwortete Valeria voller Berufsstolz und notierte sich sofort den Namen.
Nelly saß in ihrem Büro, schwang im Schreibtischstuhl hin und her und versuchte, sich über den Stand der Dinge klarzuwerden. Das, was sie brauchte, war schwer zu bekommen: frische und verlässliche Informationen zur finanziellen Situation des Pittaluga-Unternehmens. Und dafür kam nur Sandra in Frage. Während sie im Handy Sandras Nummer raussuchte, musste sie wieder daran denken, wie entschieden Gianandrea Pittaluga ausgeschlossen hatte, dass seine Tochter in Gefahr schweben könnte. War das tatsächlich nur Überheblichkeit gewesen? An Verantwortungslosigkeit grenzende Borniertheit? Oder wusste er über diese vertrackte Geschichte mehr, als er zugeben mochte?
»Nelly, was ist los?«
Sandra hatte ihre Nummer auf dem Display gesehen und kam wie immer sofort auf den Punkt.
»Ich brauche vertrauliche und aktuelle Informationen zur gegenwärtigen Finanzlage der Pittalugas. Gerüchte, Klatsch, Tratsch, Munkeleien und natürlich Bosheiten.«
»Mein Spezialgebiet also. Sieht so aus, als trauest du mir mehr zu als den Kollegen von der Steuerfahndung. Allerdings hab ich dir gesagt, das ist vermintes Terrain.«
»Ganz genau. Dein Spezialgebiet eben. Bis morgen.«
»Au Backe. Na dann, ciao, ich mach mich sofort an die Arbeit.«
Sandra war schon in Aktion. Diese Recherche würde sie auf Trab halten und ihr Spaß machen, und die Ergebnisse, so hoffte Nelly, ließen gewiss nicht auf sich warten.
»Ein Anruf für Sie, Dottoressa.«
Mit verschwörerischem Unterton stellte Valeria
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