Schnee an der Riviera
verschwunden, die Temperatur ist gesunken und die frische Luft durch den Regen wieder angenehm zu atmen. Carlo biegt in die Gasse ein, die zum kleinen Hafen von Nervi führt, und stellt die Maschine am Fluss an einer Stelle ab, wo er nicht über die Ufer treten kann. Durch den Regen rennend, erreichen sie wortlos seine Wohnung. Drinnen streifen sie sich die nassen Kleider vom Leib, springen unter die Dusche und lieben sich dort, unter dem warmen, trostspendenden Wasserstrahl. Sie halten einander umklammert, als ginge es um ihr Leben. Sie rutschen aus, fallen hin und brechen in ein befreiendes Gelächter aus. Das ganze Badezimmer steht unter Wasser, es dampft wie in einem türkischen Bad. Carlo reißt das Fenster auf, und sie duschen sich mit kaltem Wasser ab, dann wickeln sie sich in ihre kuscheligen Bademäntel und kriechen unter die Bettdecke, ganz dicht beieinander, zitternd. Doch nicht vor Kälte.
»Verzeih mir, Nelly, ich bin ein sturer Bock«, sagt er endlich.
»Nein, ich versteh dich ja, was glaubst du denn? Ich hätte dich einweihen müssen, es mit dir besprechen müssen. Dich vorwarnen. Klar war das ein Schock für dich zu erfahren, dass ich Maus Leben aufs Spiel setze. Aber ich ...«
Er legt ihr die Hand auf den Mund.
»Ich habe nachgedacht. Es war eine schwierige Entscheidung für dich. Ich hätte dich unterstützen sollen, anstatt dir Vorwürfe zu machen. Aber manchmal reagiert man einfach aus dem Bauch heraus, ohne das Urteil der Vernunft abzuwarten ...«
Dieses Mal hält sie ihm den Mund zu. Und sie lieben sich erneut.
»He, ich muss Mau Bescheid sagen, dass ich heute Abend nicht zum Essen nach Hause komme«, entfährt es Nelly später.
»Warum, erwartet er dich?«
»Keine Ahnung. Manchmal geht er auch weg und kommt erst spät zurück. Ich respektiere sein Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden, aber vielleicht bin ich auch nur zu feige. Ich sollte ihn dazu zwingen zu reden, sich zu öffnen ...«
»Wenn er so weit ist, wird er schon den Mund aufmachen. Ich schaue morgen mal bei euch vorbei, vielleicht fällt ihm das Reden bei mir leichter. Du weißt ja, mit Eltern sind solche Dinge irgendwie komplizierter ... Und seine Liebste?«
»Keine Ahnung. Er versucht Kontakt mit ihr aufzunehmen, aber sie ist nicht erreichbar.«
»Das könnte ein Grund für seine schlechte Laune sein.«
»Warst du auch schlechtgelaunt in den letzten Tagen?«
»Und du?«
»Du musst zuerst antworten, ich stelle hier die Fragen.«
»Entschuldigen Sie, Commissario. Nein, ich hatte keine schlechte Laune« – Kunstpause –, »ich bin fast verrückt geworden. Ich hatte eine Scheißangst, dich zu verlieren.«
Nelly lacht zufrieden.
»Ich auch«, und dann: »Wollen wir was essen? Ich habe Hunger.«
»Genau dafür habe ich schon etwas im Ofen stehen. Wir müssen es nur noch aufwärmen.«
Nelly versucht, Mau zu erreichen, doch zu Hause geht keiner ans Telefon. Also wählt sie seine Handynummer.
»Ma?« Seine Stimme klingt eindeutig genervt.
»Hallo, mein Schatz, wo bist du?«
»Was geht’s dich an? Oder stehe ich immer noch unter Polizeiaufsicht?«
»Du brauchst gar nicht so patzig zu sein. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich heute spät komme.«
»Hast du dich mit Carlo versöhnt?«
»Was geht’s dich an?«
»Schön, das freut mich für euch. Alles Gute und viele Töchter.« Er legt auf.
»Er freut sich, dass wir uns wieder vertragen.«
»Komm, der Hackbraten ist gleich warm. Dazu gibt es gefüllte Zucchini, Zwiebeln und Tomaten à la Carlo.«
»So einen Mann lässt man nicht vom Haken, nicht einmal, wenn er die Angewohnheit hat, es mit Eisbären zu treiben«, sagt Nelly selig und schiebt sich einen großen Happen gefüllte Zucchini in den Mund.
Gegen zwei Uhr nachts fährt Carlo sie mit dem Motorrad nach Hause. Es regnet nicht mehr, und die Luft ist frisch und klar, die Stadt schläft im gedämpften Licht.
»Du hättest wirklich bei mir übernachten können«, brummelt er.
»Komm du lieber mit zu mir, Liebster. Ich möchte wissen, ob Mau da ist. Nach allem was passiert ist, bin ich zurzeit ein wenig überängstlich.«
»Okay, da sage ich nicht nein.«
Nelly hat ein paar Sachen von sich übergezogen, die schon länger bei ihm herumlagen, alte, zerschlissene Jeans, einen schlabberigen Pullover und eine ausgebeulte Jacke. Doch in diesem Moment fühlt sie sich wie die schönste und meistgeliebte Frau der ganzen Stadt. Leise betreten sie die Wohnung; während Carlo sich schon auszieht und
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