Schnee an der Riviera
genauso gut, Dottore?«, doch natürlich behielt sie die unverschämte Frage für sich, konnte allerdings ein verschmitztes Flackern in ihren Augen nicht unterdrücken, was Gianandrea nicht entging. Mit dem für seine Familie typischen, fast feierlichen Ernst fügte er hinzu:
»Außerdem haben wir gerade auch privat ziemlich schwerwiegende, ja, besorgniserregende Dinge zu besprechen.«
Nelly lehnte sich entspannt zurück.
»Ach ja?«, fragte sie abwartend.
»Natürlich«, fuhr er leicht gereizt fort. »Es ist ja wohl keine Frage, dass man sich nach dem, was in der Schule unserer Kinder passiert ist«, er betonte das »unserer« und sah sie dabei eindringlich an, »als verantwortungsvolle Eltern Sorgen macht und Fragen stellt. Wer sind diese Kinder, die wir großziehen? Kennen wir sie wirklich? Oder lassen wir sie allein, überlassen sie sich selbst, insbesondere, wenn die Mutter arbeiten muss und ihr nichts anderes übrig bleibt, als sie zu vernachlässigen?«
»Verzeihung, Dottor Pittaluga, aber meine Zeit ist kostbar: Weshalb wollten Sie mich sprechen?«
Nellys braune Augen waren dermaßen kalt und hart geworden, dass selbst Gianandrea Pittaluga sich unwohl fühlte.
»Ich wollte Sie fragen, wie weit die Ermittlungen in diesem für uns alle schockierenden Vorfall fortgeschritten sind?«
Seine Stimme klang längst nicht so sicher, wie sie sollte.
»Es ist mir selbstverständlich nicht erlaubt, über laufende Ermittlungen zu reden, zumal mit Personen, die womöglich selbst in den Fall verwickelt sind.«
Ihre Stimme war noch eisiger als ihr Blick. Gianandrea Pittaluga fuhr zusammen, als hätte eine Ohrfeige ihn mitten ins Gesicht getroffen. Bisher hatte er Nelly nie beruflich erlebt. Er hatte keine Ahnung, wie hart und aggressiv diese Frau sein konnte, die auf ihn immer so gutmütig und mütterlich gewirkt hatte. Mühsam fing er sich wieder und versuchte, zum Gegenangriff überzugehen.
»Was soll das heißen: womöglich in den Fall verwickelt? Passen Sie auf, was Sie sagen, Dottoressa.«
»Nein, Sie sollten aufpassen, was Sie sagen, Dottor Pittaluga. Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten mich hierher bestellen und mir einen scheinheiligen Vortrag voller Anspielungen auf meinen Sohn halten, wo doch alle wissen, dass Ihre Tochter Monica etwas mit einem (kleinen?) marokkanischen Drogendealer hatte, nachts durch nicht gerade jugendfreie Altstadtkneipen zieht (wenn Sie möchten, kann ich Ihnen auch sagen wo, wann und mit wem) und höchstwahrscheinlich viel mehr über die ganze Sache weiß, als sie zugibt. Wir können nicht einmal ausschließen, dass das, was Franci aus der Klasse schaffen wollte, Monica gehörte. Apropos Eltern, die ihre Kinder nicht kennen, was halten Sie davon, in nächster Zeit mal im Anatra azzurra in der Via Maddalena einen trinken zu gehen? Vielleicht mit Gudrun Fallari, dann können Sie sich selbst ein Bild davon machen, wie Ihre beiden Töchterchen die Abende verbringen.«
Der Mann wollte etwas erwidern, doch er war sprachlos vor Wut. Blanker Hass lag auf seinem Gesicht, was Nelly nicht sonderlich beeindruckte.
»Was ich jedoch eigentlich von Ihnen wissen wollte, habe ich eben erfahren. Mich interessierte, in was für einem Verhältnis Sie zu Miriams Mutter stehen, und fürs Erste ist meine Frage geklärt. Außerdem wollte ich wissen, ob Sie über das Doppelleben Ihrer Tochter Bescheid wussten und über die Tatsache, dass sie sich möglicherweise in Gefahr befindet.«
Gianandrea kam immer mehr ins Schlingern.
»In Gefahr? Was wollen Sie damit sagen?«
»Monica könnte über die krummen Geschäfte, die im Dunstkreis besagter Kneipe und vielleicht sogar in der Schule ablaufen, zu viel wissen, und die Leute, die Francesco Bagnasco und Habib Kamali umgebracht haben, verstehen keinen Spaß. An Ihrer Stelle würde ich mir um die Sicherheit meiner Tochter Sorgen machen, statt anderer Leute Kindern etwas zu unterstellen. Und ich würde der Polizei alles sagen, was der Aufklärung des Falles dienlich sein könnte. Sollte Monica, und das hoffe ich, mit dieser schmutzigen Sache nichts zu tun haben, kann die Wahrheit nur von Vorteil für sie sein. Im umgekehrten Fall kann sie ihr das Leben retten.«
»Sie sind verrückt! Sie bewerfen meine Tochter und unsere Familie mit Dreck. Monica ist in keinerlei Gefahr.«
»Darf ich fragen, woher Sie diese Gewissheit nehmen?«
Gianandrea Pittaluga biss sich auf die Zunge, als wäre ihm etwas herausgerutscht, das er besser für sich behalten hätte.
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