Schnee an der Riviera
Auteri an, brachte ihn kurz auf den neuesten Stand und versprach ihm, ihn so bald wie möglich zu besuchen, obwohl sie nur zu gut wusste, dass dieses Versprechen kaum zu halten war. Dann trat sie entschlossen zur Tür. Sie war höchst gespannt auf das Treffen mit Gianandrea Pittaluga.
»Ich geh dann mal, Valeria. In rund einer Stunde bin ich wieder hier.«
»Ist gut, Dottoressa«, antwortete die Sekretärin und zeigte wie immer ihr sorgenvoll fragendes Lächeln. Langsam ging ihr Valerias gluckenhaftes Benehmen auf den Geist. Sah sie denn wirklich so aus, als stünde sie kurz vor dem Kollaps?
Corte Lambruschini war nicht weit vom Präsidium entfernt, nur ein Stück weit den Viale Brigate Bisagno hinunter. Die roten Gladiolen in den großen grünen Beeten auf dem Mittelstreifen blühten und schienen sich nichts aus den Abgasen und der verpesteten Stadtluft zu machen. Vielleicht waren sie schon dermaßen mutiert, dass ihnen der Gestank sogar gut bekam. Zu viel Sauerstoff hätte sie womöglich sofort eingehen lassen. In wenigen Minuten erreichte Nelly den Firmensitz der Spediworld. Jahrzehntelang hatten dort, östlich des Bahnhofs Brignole, halbverfallene Mietskasernen gestanden. Doch dann, als schon niemand mehr damit rechnete, hatte man sie abreißen lassen und an ihrer Stelle einen hochmodernen, glitzernden Büro-und Gewerbekomplex aus Glas und Stahl errichtet, der entfernt an ein geöffnetes Buch erinnerte. Nelly war sich noch nicht sicher, ob ihr das Gebäude gefiel oder nicht. Doch nun stand es schließlich da, und die Genueser hatten sich damit abgefunden.
Der Pförtner hinter dem Tresen blickte ihr argwöhnisch entgegen, und Nelly hielt ihm demonstrativ ihren Ausweis unter die Nase. Kleinlaut und mit Fragezeichen in den Augen öffnete er ihr den Aufzug, und Nelly fuhr in den obersten Stock.
Die Geschäftsräume der Spediworld waren atemberaubend. Für Genua völlig untypisch: Mailänder, ja, amerikanischer Luxus durch und durch. Überall Glas, nachtblauer Teppich, an den Wänden moderne Zeichnungen und Bilder, alles Originale. Überall herrschte die gedämpfte Atmosphäre von diskreter Effizienz, Stil und Komfort. Gianandrea Pittalugas persönliche Sekretärin war eine gepflegte, freundliche Dame um die dreißig. Sie kündigte Nelly an und ließ sie sofort vor. Das Büro von Monicas Vater harmonierte mit dem Rest: ein riesiger Raum, der nach Süden und auf die Piazza Brignole hinausging und den Blick bis zum Meer schweifen ließ. Die Möbel waren aus Mahagoni, der Teppich beige und die Sessel und Sofas mit tabakfarbenem Leder bezogen. Die Bilder, ein paar (echte?) Impressionisten und mehrere zeitgenössische Amerikaner, waren phantastisch. Hinter Gianandrea Pittaluga hing ein Gemälde aus dem siebzehnten Jahrhundert, auf dem eine Seeschlacht zu sehen war. Es gab auch zwei Skulpturen, eine aus Holz und eine aus Schiefer, die Nellys Blick sofort auf sich zogen.
»Alle Achtung, Dottor Pittaluga. Ihr Büro ist überwältigend.«
Der Mann wusste Nellys aufrichtiges Kompliment zu schätzen.
»Danke, Dottoressa. Setzen Sie sich doch.« Er deutete auf einen Lehnstuhl, der vor dem riesigen Schreibtisch stand. Eilfertig war er ihr entgegengekommen und nahm nun wieder in gebührendem Abstand in seinem Chefsessel hinter dem Schreibtisch Platz.
»Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, bestimmt seit den Pfadfindern nicht mehr. Darf ich Ihnen etwas bringen lassen?«
»Ja, ich glaube, das letzte Mal bei irgendeinem Sommercamp-Abschlusstreffen. Nein, danke, ich möchte nichts. Ich habe gerade gegessen. Im Kilt , gleich hier gegenüber.«
Wenn die Bemerkung ihn frappiert hatte, so ließ er sich nichts anmerken.
»Da gehe ich auch oft hin. Es ist nicht überragend, aber praktisch.«
»Ich weiß. Ich habe Sie heute dort gesehen. Mit Signora Fallari, wenn ich mich nicht irre.«
Diesmal hatte sie ins Schwarze getroffen, Gianandreas Mundwinkel zuckten fast unmerklich. Doch sofort hatte er sich wieder gefasst.
»Ach ja, Gudrun Fallari, Miriams Mutter. Eine alte Freundin der Familie, außerdem haben wir geschäftlich miteinander zu tun. Sie kümmert sich um die Public Relations unseres Unternehmens.«
»Aha. Tut sie das schon lange?«, fragte Nelly unschuldig.
»Seit vier oder fünf Jahren. Sie ist ein echter Profi, verfügt über internationale Kontakte, hat Stil, kann mehrere Sprachen und kennt sich aus. Wir sind sehr zufrieden mit ihr.«
Am liebsten hätte Nelly gefragt: »Und, läuft es im Bett
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