Schnee an der Riviera
Lächeln, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Sie hat keinen Widerstand geleistet. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass ihr die Sache vollkommen gegen den Strich ging.«
»Darf ich einen Blick in ihr Zimmer werfen?«, fragte Nelly.
»Natürlich, hier entlang«, sagte Federica sofort und ging in die Eingangshalle, von der aus eine imposante Treppe nach oben führte.
Monicas Zimmer lag im ersten Stock. Ein großer, sonnendurchfluteter Raum mit einem Balkon, der auf den Garten hinausging, auf die Azaleensträucher und Rosenbeete.
Das Zimmer eines Mädchens aus gutem Hause: ein mit schwerem altrosa Seidenbrokat beschlagenes Bett, cremefarbener Teppich, ein großer, goldgerahmter Spiegel und ein riesiger Einbauschrank voller Anziehsachen. Auf dem Boden neben dem ebenfalls mit altrosa Brokat bezogenen Sesselchen ein luftig transparentes, nach Opium duftendes Nichts von Nachthemd. Kaum etwas in diesem Zimmer ließ an das unangepasste, launenhafte, rebellische Mädchen denken, als das Nelly Monica in letzter Zeit erlebt hatte.
»Fehlen Kleidungsstücke, Taschen?«, fragte Gerolamo und blickte sich um, ohne eine Miene zu verziehen, doch seine Augen registrierten selbst die winzigste Kleinigkeit. Er wandte sich an Federica, die ihn verblüfft anstarrte. Vielleicht hatte sie bis dahin geglaubt, Nellys Assistent sei stumm, oder hatte ihn wegen seiner Gabe, vollkommen mit seiner Umwelt zu verschmelzen, einfach nicht bemerkt.
»Ja, Hosen, zwei Paar, einige T-Shirts, eine kleine Reisetasche. Wie für einen Wochenendausflug«, entgegnete sie verdattert.
Etwas erregte Nellys Aufmerksamkeit. Durch einen Türbogen gelangte man in einen Nebenraum. An der Wand ein modernes Regal, vor einem weiteren Fenster ein Zeichentisch, Kisten und Stellagen voller Temperamalereien und Zeichnungen. Einige Blätter lagen offen auf dem großen Schreibtisch, darunter auch zahlreiche Porträts. Andere standen zusammengerollt in Pappröhren. Nelly nahm ein paar Zeichnungen in die Hand und musterte sie verblüfft.
»Beeindruckend, nicht wahr?«
Federicas Stimme bebte vor mütterlichem Stolz und vor Angst, ihren Augapfel Monica zu verlieren.
»Ja, wirklich«, antwortete Nelly, gebannt von den neuen Welten, die sich in den Bildern vor ihr auftaten.
»Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen«, sagte sie.
Das war keine Lüge, um eine bange Mutter aufzumuntern. Die kleine Monica war tatsächlich mit außergewöhnlichem Talent gesegnet. Ein Bild stellte Federica dar. Es zeigte sie zusammen mit den beiden Hunden, eine abgezehrte, starre, geradezu verknöcherte Frau mit leerem Blick. Das einzig Lebendige an ihr waren das dichte, schwarze Haar und die langen Hände mit den ovalen Fingernägeln. Die Ähnlichkeit mit den beiden Rassehunden war unübersehbar und gewollt. Ein ans Surreale grenzendes Seelenporträt.
Plötzlich zuckte Nelly zusammen. Auf einem Bild war Mau zu sehen. Allerdings so schön, wie ihn nur ein verliebtes Mädchen wahrnehmen konnte: ohne Pickel, ohne Mitesser, ein junger Held ohne Furcht und Tadel, mit reiner Seele, die sich in seinen grauen Augen und dem sanften Lächeln spiegelte. Er lag auf einer Wiese, nur mit einem Paar Bermudashorts bekleidet, und sah seine Porträtistin verliebt an.
Nelly verspürte einen Stich im Herzen. Von wann war dieses Bild? Mit stummem Erstaunen stellte sie fest, dass es erst vor wenigen Monaten entstanden war. Doch sie sagte nichts. Die Bildergalerie ließ niemanden aus: Habib als Pirat, am Bug eines Fischerbootes – grausame Prophetie seines Todes –, gekleidet wie ein berberischer Korsar, mit einem feuerroten Turban, unter dem sein lockiges Haar hervorquoll. Furchtlos blickte er aufs Meer hinaus, die schwarzen Augen funkelten kühn, zwischen den vollen, zu einem Grinsen gebleckten Lippen blitzten weiße Zähne hervor.
Atemlos vor Ergriffenheit entdeckte Nelly Francesco Bagnasco. Er war als junger Pfadfinder dargestellt, schmächtig und verletzlich, mit seinen dicken Brillengläsern und dem traumverlorenen Blick. Er lächelte offen, voller Zuversicht, und wirkte trotz seines Alters noch immer wie ein Welpe. Der Beste, der Aufrichtigste, ein wahrer Ordnungshüter, so nannte ihn Mau. Nelly musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Franci war fast wie ein Sohn für sie gewesen, mit ihm war ein Teil von Mau gestorben. Sie schluckte und ging zum nächsten Bild über, während die Pittalugas sie feindselig und nervös musterten. Es erschien ihnen wie ein Sakrileg, wie ein
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