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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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behaupten, dass er sich auf das Gespräch freute – im Gegenteil.
    Er begann den Tag mit Frühstücksflocken und einem Glas eiskalter Milch – dazu las er die Zeitung vom Vortag. Er hatte sich daran gewöhnt, dass die Tageszeitungen jeweils erst nach Mittag an diesen abgelegenen Fjord gelangten. Wobei das keine Rolle spielte; es passte einfach zu allem anderen. Hier verging die Zeit langsamer, die Hast war geringer als in der Hauptstadt. Die Zeitungen kamen einfach, wenn sie kamen.
    Er musste eine Weile warten, bis Kristín sich meldete.
    »Hi, ich bin bei der Arbeit – konnte nicht sofort antworten. Was gibt es Neues?«
    »Alles bestens.« Er zögerte und schaute zum Küchenfenster hinaus. Es lag tiefer Schnee über dem Dorf. Das war kein Ort für Autos, außer vielleicht für große Geländewagen. Das Einzige, was man hier benötigte, waren gute Wanderschuhe – oder sogar Langlaufskier. »Habt ihr schon Schnee? Hier schneit es andauernd.«
    »Nein – kein Schnee. Nur kalt und windstill, heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit war alles völlig vereist. Es gibt sicher rote Weihnachten hier in Reykjavík – du verpasst also den ganzen Weihnachtsschnee im Norden, wenn du dann in die Stadt kommst.«
    Ari schwieg, versuchte, sich im Kopf die Worte sorgfältig zurechtzulegen.
    Kristín fuhr fort: »Ich habe mit Mama und Papa gesprochen, wir werden zum Essen bei ihnen sein wie letztes Jahr. Dann brauchen wir keinen Weihnachtsbaum zu kaufen – außer, du möchtest einen zu Hause haben …«
    »Hör mal … genau das wollte ich mit dir besprechen.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Tómas hat es mir erst gestern gesagt – ich muss an Weihnachten ein wenig arbeiten …«
    Schweigen.
    »Ein wenig? Was heißt das?« Die Stimme klang scharf.
    »Ja … an Heiligabend, am Weihnachtstag … und dann etwas zwischen Weihnachten und Neujahr.«
    Wieder Schweigen.
    »Und wann wirst du dann in die Stadt kommen?«
    »Tja … es ist wahrscheinlich besser, wenn ich erst zu Anfang des neuen Jahres komme, dann bekomme ich eine ganze Woche frei.«
    »Zu Anfang des neuen Jahres? Willst du mich verarschen? Wirst du an Weihnachten also nicht kommen?« Die Stimme klang kühl, Kristín wurde nicht laut. »Wir hatten doch beschlossen, Weihnachten dazu zu nutzen, um die Lage zu besprechen – das nächste Jahr zu planen. Werde ich dich also nicht vor Januar sehen … oder Februar?«
    »Ich werde versuchen, im Januar zu kommen. Aber ich kann mir hier einfach keine Freiheiten erlauben – ich habe gerade erst angefangen. Ich werde mich einfach damit zufriedengeben, diese Chance bekommen zu haben.«
    »Chance! Du solltest etwas über den Tellerrand hinausschauen, Ari … Ist das eine Chance für uns, um … ja, eine Beziehung aufrechtzuerhalten – eine Familie zu gründen? Es liegen fünfhundert Kilometer zwischen uns. Fünfhundert, Ari.«
    Knapp vierhundert Kilometer, nicht fünfhundert.
    War sich aber bewusst, dass das nicht der richtige Augenblick war, um auf Faktenfehler aufmerksam zu machen.
    »Ich kann nichts daran ändern … die arbeiten hier schon länger als ich, sie haben beide eine Familie …«
    Er bereute die Worte im selben Moment, in dem sie ihm herausgerutscht waren.
    »Na und? Hast du etwa keine Familie hier in der Stadt? Was ist mit mir … und Mama und Papa?«
    »Ich habe es nicht so gemeint …«
    Schweigen.
    »Ich muss gehen.« Ihre Stimme klang leise, beinahe weinerlich. »Ich muss gehen, Ari, sie haben nach mir gerufen. Reden wir später miteinander.«

9. Kapitel
    Sie hatte keine Ahnung, was er vorhatte.
    Da kam ihr ein schlimmer Verdacht, ein Gedanke, den sie nicht zu Ende zu denken wagte.
    Was konnte ein junger Mann von einer wehrlosen Frau schon wollen an einem Freitagabend?
    Es ging ihr durch den Kopf, seine Warnung zu ignorieren und einfach zu schreien, aus voller Kehle und ganzer Kraft zu schreien – aber es waren nur wenige in den Straßen unterwegs, große Gärten lagen zwischen den Häusern.
    Sie war im eigenen Wohlstand gefangen, in diesem großen Einfamilienhaus, in dieser ruhigen Gegend – wo sie sich von den Problemen der Welt zurückziehen konnte.
    Er schwieg, schaute um sich. Sie wagte nicht, etwas zu sagen. Sie getraute sich kaum, ihn direkt anzuschauen. Er musterte das Wohnzimmer. Sagte nichts. Das Schweigen war bedrückend; das Schweigen und die Ungewissheit.
    Verdammt nochmal, warum sagte er denn nichts? Einfach etwas, damit sie nicht länger alleine mit ihren Gedanken daliegen musste.
    Sie musste an ihre beiden

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