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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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höher wachsen würden.
    Karl hatte beim zweiten Läuten geantwortet, er war im Krankenhaus.
    Es schneite noch immer, als Tómas und Ari sich auf den Weg dorthin machten. Der kleine Polizeigeländewagen fräste sich durch die verschneiten Straßen in Richtung Krankenhaus; die Scheibenwischer leisteten ganze Arbeit, um die Windschutzscheibe freizuhalten, so gut es eben ging. Der Schnee erhellte die Dunkelheit, Lichter leuchteten in den Fenstern der Dorfbewohner. Fast jedermann war an diesem Abend zu Hause geblieben, und das nicht nur wegen des Wetters, sondern auch, weil das Sicherheitsgefühl empfindlich gestört worden war.
    Karl saß gefasst im Wartezimmer und las die Zeitung. Er nickte Tómas und Ari leicht zu und setzte dann seine Lektüre fort.
    »Wir müssen mit dir reden.«
    Er blätterte eine Seite um, als ob ihn das Ganze nichts anginge.
    Tómas hob die Stimme: »Wir müssen noch mal mit dir reden.«
    Karl blickte von der Zeitung auf und verengte die Augen.
    »Wieso? Was ist denn los?«
    »Du musst mit uns mitkommen.«
    »Haben wir denn nicht bereits alles besprochen?« Seine Stimme klang entschlossen, dunkel. »Ich möchte lieber hierbleiben, bei ihr.«
    »Du kommst jetzt besser mit.«
    Er stand widerwillig auf und klopfte Ari heftig auf die Schulter. »Na, dann wollen wir mal.«
    Der Schmerz war unerträglich,
die verdammte Schulter
.
    Sie gingen zum Wagen und fuhren los.
    »Ich habe mit dem Arzt gesprochen«, sagte Tómas, als sie wieder auf der Wache saßen.
    Er wartete auf eine Reaktion. Vergeblich.
    »Hast du Hand an sie gelegt?« Die Frage kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
    »Was soll ich getan haben?« Karl schaute Tómas mit eindringlichem Blick an, dann Ari. Er schien zuerst verwundert zu sein, dann ein wenig erschrocken.
    »Schlägst du deine Frau?« Tómas’ Stimme war lauter und schärfer geworden. Ari warf einen Blick auf seinen Vorgesetzten.
    »Bist du nicht bei Trost? Natürlich nicht.«
    Er schien aber zu ahnen, welche Frage nun folgen würde, und wollte ihr zuvorkommen. Deshalb schob er rasch nach: »Sie ist aber gestern hingefallen; sie war im Wohnzimmer beim Putzen und hat einen falschen Tritt gemacht, so hat sie es zumindest erzählt. Fragst du deswegen?«
    Tómas antwortete ihm nicht direkt.
    »Sie hat auffallende blaue Flecken auf ihrem Rücken, wie nach einem schweren Schlag. Oder einem Sturz.«
    »Eben.« Eiskalt.
    »Ist es das erste Mal, dass du sie geschlagen hast?«
    Karl stand auf und schaute Tómas direkt in die Augen. »Ich habe nie Hand an meine Frau gelegt. Hast du das gehört?«
    Tómas blieb ruhig sitzen.
    »Setz dich doch bitte wieder hin. Du hast also nichts zu verbergen, verstehe ich das richtig?«
    »Überhaupt gar nichts.« Karl beruhigte sich ein wenig und setzte sich erneut hin.
    »Warte kurz hier.« Tómas stand auf, ruhig und besonnen, und warf Ari einen Blick zu zum Zeichen, dass sie kurz unter vier Augen miteinander reden mussten.
    »Er hat sie geschlagen«, sagte Tómas, als sie draußen waren. »Er hat sie geschlagen – oder gestoßen, doch wir können es ihm nicht beweisen, wir können nur mit ihm reden. Ich werde ihn noch etwas hier behalten. Geh du zu Hlynur und sieh nach, wie es bei ihm läuft. Vielleicht hat er ja etwas in der Wohnung gefunden, das uns Hinweise geben könnte. Kalli hat uns die Erlaubnis gegeben, dass wir uns dort umschauen dürfen.«
    »Dann wird es dort wohl kaum etwas zu finden geben«, sagte Ari.
    »Da hast du wahrscheinlich recht.«
    ***
    Ari stand draußen im Schneetreiben vor dem Haus in der Þormóðsgata. Der Abend war schon vorangeschritten, aber es brannte sowohl im oberen wie im unteren Stock Licht. Er ging direkt in den Garten nach hinten und sah Hlynur gebückt im Schnee suchen; er suchte nach der Waffe, nach einem Hinweis. Ari klopfte ihm auf die Schulter; es nützte nichts, bei diesem Wetter zu rufen.
    Hlynur schaute auf.
    »Nichts. Bisher noch nichts«, rief er durch das Schneetreiben. Ari nickte mit dem Kopf und deutete in Richtung des Hauses. Hlynur kam näher an ihn heran: »Schau ruhig rein, ich habe die Wohnung bereits durchsucht und Fotos gemacht. Habe dort nichts gefunden, außer ihrem T-Shirt … einem roten T-Shirt auf dem Boden«, sagte Hlynur. »Ich habe es in eine Tüte gesteckt und es nach draußen ins Auto gelegt.«
    Das T-Shirt, das sie getragen hatte, als der Angreifer kam?
    Ari ging in die Wärme hinein – vom Garten direkt ins Wohnzimmer. Es kam ihm vor, als ob die Zeit um einige Jahrzehnte

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