Schneebraut
Dank.« Er lächelte, schien froh zu sein, es nicht mit einem Mordfall zu tun zu haben. Noch nicht. Sein Ausdruck veränderte sich aber rasch, als er einen Blick auf den Bildschirm warf und die Schlagzeile über die Tat entdeckte.
»Wie zum Teufel ist das möglich?!«
»Keine Ahnung. Meine Freundin hat mich darauf hingewiesen.«
»Das ist ja schrecklich! Zuerst Hrólfur und jetzt das hier – und beides erscheint fast parallel in den Medien! Wir bekommen aber auch gar keine verdammte Ruhe, um unseren Job zu erledigen.«
»Du glaubst ja wohl kaum, dass das hier etwas mit dem Unfall im Theater zu tun hat?«, fragte Ari.
»Was? Nein, kaum. Es ist einfach beschissen, total beschissen, dass wir zweimal hintereinander in solche Fälle verwickelt werden.«
Aber noch beschissener für Hrólfur und Linda
. Ari hielt sich zurück.
Tómas’ Handy klingelte.
»Hallo.« Schweigen. »Nein, zum Teufel nochmal«, sagte er gereizt. »Lass mich einfach meine Arbeit machen!« Kurzes Schweigen. »Nein – ich habe keine Zeit.
Kein Kommentar
. Hast du verstanden?«
Er unterbrach das Gespräch. »Die verfluchten Journalisten. Wir sollten das Verhör beenden, es ist nicht nötig, den Mann hier weiter sitzen zu lassen«, sagte Tómas mürrisch. »Das wird ein Albtraum. Wir müssen den Fall so schnell wie möglich lösen, sonst bekommen die Leute hier im Dorf Todesangst.«
Ari schaute kurz aus dem Fenster, bevor sie wieder in den Verhörraum gingen. Es schneite noch immer. Dieses friedliche Dorf war schon wieder von Schnee bedeckt, doch nun schien es, als ob er mehr Schwermut mit sich brächte als vorher. Die weiße Schneedecke war nicht mehr länger rein, sondern von Blut befleckt.
Eines war sicher, heute Abend würden alle Dorfbewohner ihre Türen verriegeln.
26. Kapitel
Siglufjörður,
Mittwoch, 14 . Januar 2009
»Ich werde morgen mit dem Jungen, der sie gefunden hat, und seiner Mutter reden«, sagte Tómas. »Wir müssen eine offizielle Aussage haben, und das ändert nichts daran, dass Kalli von jedem Verdacht freigesprochen ist. Ich habe es ja von Anfang an nicht geglaubt, dass er es getan haben soll. Kann mich noch gut an ihn erinnern, als er ein kleiner Junge war; seine Eltern zogen nach Dänemark, als er gerade mal siebzehn wurde. Es war ein ewiger Kampf bei ihnen, sie waren ständig in Geldnot, soweit ich mich erinnern kann – damals war es hier kaum möglich, Arbeit zu bekommen. Ich glaube, es ist ihnen dann im Ausland ganz gut ergangen.«
»Linda – ist sie Dänin?«
»Halb Dänin, halb Isländerin, sie haben sich in Dänemark kennengelernt.« Tómas schien in Gedanken woanders zu sein, besorgt, als ob noch etwas anderes als nur die Arbeit ihn bedrückte. »Hör mal, Meister – du hast vorhin das mit Hrólfur erwähnt …«
»Ja?«
»Halt die Augen offen. Wir dürfen jetzt keine Fehler machen, ist das klar?«
Ari nickte mit dem Kopf.
»Glaubst du denn, dass es zwischen den Fällen eine Verbindung gibt?«
»Das ist unwahrscheinlich – aber nicht ausgeschlossen. Zwei gewaltsame Todesfälle …« Tómas unterbrach sich mit beschämter Miene und sagte dann: »Verzeih, sie lebt natürlich noch. Ich bin beunruhigt, wie kurz der Zeitabstand zwischen diesen zwei Fällen ist, zumal sowohl Kalli wie auch Leifur beide auf der Probe waren an dem Abend, an dem Hrólfur umkam.«
»Leifur?«
»Er wohnt im oberen Stock, im selben Haus wie Kalli und Linda. Kannst du mit ihm reden?«
»Das werde ich.«
»Dann gibt es da noch etwas wegen der Begebenheit im Kino … Es gibt eine Webcam, die Bilder vom Rathausplatz sendet – direkte Bilder aus dem Dorf für Leute aus Siglufjörður, die weggezogen sind, verstehst du? Vielleicht gibt es Bilder vom Kinogebäude an diesem Abend – wer kam und wer ging. Kannst du das übernehmen?« Er gab Ari den Link an.
Das Telefon klingelte, Tómas’ Handy.
Er sagte nicht sehr viel,
ja, in Ordnung
.
Sein Gesicht verriet dagegen mehr als alle Worte.
Er steckte das Handy wieder in die Tasche.
»Das war der Arzt. Sie ist immer noch bewusstlos. Sie schicken ein Flugzeug für den Krankentransport, um sie abzuholen, sie muss nach Süden verlegt werden. Hoffentlich klart es heute Nacht etwas auf, damit sie fliegen können.« Dann fügte er hinzu: »Der Arzt hat noch etwas anderes erwähnt … wir müssen nochmals mit Kalli reden. Und zwar sofort.«
***
Die Schneewehen waren höher, als Ari es aus Reykjavík gewohnt war, und er zweifelte nicht daran, dass sie in den nächsten Tagen noch
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