Schneebraut
reichte ihm die Hand.
Leifur verabschiedete ihn mit einem Händedruck, die Handfläche war rau, er war ein Handwerker bis in die Fingerspitzen.
Draußen bedeckte der Schnee alles, und das Dorf machte einen äußerst friedlichen Eindruck. Eine kleine Katze schoss in rasantem Tempo unter einem Auto hervor und rannte nach Hause, in die Wärme. Einige wenige Schneeflocken fielen noch zur Erde; so leicht, dass sie kaum zu sehen waren. Ari schaute zum Himmel hoch und atmete tief ein.
Vielleicht kam ja doch noch alles in Ordnung
.
***
Er hörte Hlynur rufen, als er gerade in den Geländewagen steigen wollte.
»Ari!«
Er drehte sich um.
»Das Messer. Ich habe es gefunden.«
Das Messer war hinter einem Strauch im nächsten Garten versteckt worden. Es war eines der Küchenmesser, daran bestand kein Zweifel. Das Messer, das fehlte.
»Er hat es auf der Flucht hier versteckt«, sagte Ari.
Er hatte recht gehabt mit dem Messer.
Gut gemacht.
Hoffentlich hatte er nicht recht mit dem Handy.
***
Tómas wusste nicht, wann er sich schlafen legen würde. Er wusste lediglich, dass er heute Nacht nicht nach Hause gehen würde. Wollte die Gelegenheit nutzen und sich auf der Wache hinlegen. Ihr zeigen, wie das Leben sein würde, wenn sie nach Süden ziehen würde. Dann müsste sie auch allein schlafen. Hoffentlich.
»Es gibt vermutlich keine Fingerabdrücke auf diesem schönen Messer«, stöhnte er inbrünstig. »Wir schicken es dennoch nach Reykjavík und hoffen mal das Beste.« Er hielt eine Tasse mit starkem, schwarzem Kaffee in der Hand.
»Müssen wir Kalli nicht bald gehen lassen?«, fragte Hlynur und gähnte; er hatte wahrscheinlich nicht erwartet, dass man ihn zum Einsatz rufen würde.
»Das Flugzeug ist auf dem Weg. Zum Glück hat sich das Wetter ein wenig beruhigt. Sie werden nachher hier landen können. Linda ist immer noch bewusstlos. Wir können nicht darauf hoffen, dass sie uns irgendetwas sagen kann. Wie seht ihr die Sache, Jungs?«
Tómas schaute Hlynur an, der zu müde schien, um zu antworten.
»Es sieht schlecht aus«, sagte Ari.
»Ihr geht jetzt nach Hause und legt euch hin. Wir treffen uns morgen früh wieder hier und besprechen dann die Lage. Ari, halt die Augen offen wegen der Theatergeschichte. Nur zur Sicherheit. Du solltest morgen vielleicht mit Pálmi reden, falls du einen Moment Zeit hast. Er hat Hrólfur gut gekannt, er würde wissen, wenn es da etwas gäbe, das wir genauer unter die Lupe nehmen sollten.«
Ari nickte.
»Ich habe ihr Handy gefunden«, sagte er dann, »aber ich muss die Nummer noch überprüfen.« Er zeigte Tómas das rote Telefon. »Kann ich von ihrem Handy meines anrufen?«
»Ja, klar, versuch es mal.« Tómas nickte.
Ari holte Plastikhandschuhe und wählte seine eigene Nummer.
Das Handy klingelte.
»Ich habe das Gefühl, dass ich die Nummer kenne«, sagte Ari. »Ich glaube, dass sie mich angerufen hat.«
Tómas verstand den Zusammenhang nicht.
»Dich angerufen hat?«
»Ja, am Heiligen Abend.«
Tómas erschrak fast zu Tode.
»Dieser Anrufer, der dich am Telefon belästigt hat?«
»Vielleicht war es ja keine Belästigung.«
»Schau das mal nach«, sagte Tómas kurz angebunden.
»Mach ich«, sagte Ari, ging zum Rechner und kam kurz danach wieder. »Die Nummer stimmt.«
Tómas holte tief Luft. Hatte er einen Fehler gemacht? Er hatte Ari einen längeren Vortrag darüber gehalten, dass man sich über so einen Anruf an Heiligabend keine Gedanken machen müsse. Dass das nur jemand gewesen sei, der der Polizei zu Weihnachten einen Streich spielen wollte …
»Ich glaube, dass wir ihn über Nacht hierbehalten«, sagte Tómas. »Die Lage spitzt sich immer mehr zu. Er will natürlich mit Linda nach Süden fliegen, doch in Anbetracht all dieser Hinweise glaube ich, dass wir ihn nicht sofort entlassen können. Zuerst die blauen Flecken von Linda und dann dieser verfluchte Telefonanruf. Schauen wir mal, ob er morgen früh nicht ein Geständnis ablegen wird.«
Er glaubte allerdings nicht daran.
***
Es war im Grunde genommen ein ganz normaler Kuss, mild, weich, kurz. Angenehm. Ari saß ein paar Sekunden ganz steif da, schmeckte den Kuss auf seinen Lippen, genoss den Augenblick, wusste nicht genau, was geschehen war. Saß ganz still, musste an Kristín denken. Was zum Teufel hatte er bloß getan?
Doch hatte er denn wirklich etwas getan? Er saß einfach nur still da, müde nach dem Tag, mit schmerzender Schulter; erlaubte ihr, seine Schulter zu massieren; wollte lediglich auf
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