Schneebraut
selten.«
»Haben sie sich gestern gestritten?«
»Ja, gestern war es ein unglaubliches Gezänk, doch es war eigentlich nicht ungewöhnlich. Es ist sogar etwas zerbrochen, wie mir schien.«
Endlich – ein kleiner Schritt näher dran, um ihn zu packen. Und doch genügte es wohl kaum – eine Zeugenaussage zu ihrem Streit. Jetzt sah es natürlich sehr unwahrscheinlich aus, dass sie gefallen war, und doch … es genügte nicht.
»Glaubst du, dass er sie geschlagen hat?«
»Kaum; aber weißt du, ich habe angefangen, darüber nachzudenken – ich hatte einfach angenommen, dass es ein harmloser Streit sei. Ich glaube nicht, dass Kalli ein Typ ist, der seine Frau schlägt, um ehrlich zu sein.« Er schwieg einen Moment und fragte dann: »Was ist denn passiert heute Abend? Hat er Linda angegriffen?«
»Hast du etwas gesehen?«
»Nein, gar nichts. Ich war in meinem Werkzimmer, dort gibt es kein Fenster zum Garten hinaus. Ich bin eigentlich in meiner eigenen Welt, wenn ich schreinere. Aber ich habe natürlich einen Blick nach draußen geworfen, als die Aufregung begonnen hat, als ihr aufgetaucht seid – und dann habe ich eine Nachricht darüber im Internet gesehen.« Er wiederholte die Frage: »Hat er Linda angegriffen?«
»Nein, es deutet nichts darauf hin, dass er das getan hat.«
»Wird sie es überleben?«
»Das kann man unmöglich wissen … aber um auf die Streitereien zurückzukommen …« Es war am besten, die Gelegenheit zu nutzen, er hatte ja Tómas’ Auftrag dazu bekommen. »Ich habe gehört, dass es während derselben Probe, nach der Hrólfur gestorben ist, einen Streit gegeben hat. Hast du das mitbekommen?«
Es schien Leifur nicht zu überraschen, eine Frage zum Theaterverein gestellt zu bekommen. »Das konnte ja an keinem vorübergehen. Das war ein heftiger Streit. Hrólfur war ein bisschen beschwipst, Úlfur ein bisschen hitzig. Das war aber nichts Besonderes.«
»Nichts Besonderes, dass Hrólfur etwas später am selben Abend die Treppe runterfallen sollte?«
»Ja, doch, natürlich – das war nicht so gemeint. Nicht, wie du es angedeutet hast. Es hätte ihn wohl niemand absichtlich gestoßen.«
»Bist du in der Essenspause rausgegangen?«
»Ja.« In Leifurs Augen war jetzt ein kleiner Schimmer von Furcht zu erkennen; er schien sich erst jetzt bewusst zu werden, dass er in zwei polizeilichen Ermittlungen zur Gruppe der Verdächtigen gehörte. »Das mache ich immer, schlendere nach Hause – gehe zur Hintertür hinaus. Ich habe kurz noch ein paar Worte mit Nína gewechselt, bevor ich gegangen bin. Sie wollte in der Pause irgendetwas im Keller aufräumen.«
Ari stand auf. Bei diesem Besuch konnte er wohl kaum mehr in Erfahrung bringen; es war am besten, sich auf freundliche Weise zu verabschieden. Séra Ari. »Danke für den Tee. Du hast dich nicht verändert.« Er zeigte auf das Konfirmationsbild.
Leifur reagierte, als hätte man ihm eines übergezogen. »Das ist allerdings mein Bruder.« Er zögerte ein wenig und fügte dann hinzu: »Er ist tot. Ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»Ist es schon lange her?« Wieder einmal kam der Pfarrer in ihm zum Vorschein, der Seelsorger.
»Dreiundzwanzig Jahre«, antwortete Leifur ohne Umschweife. »Dreiundzwanzig Jahre sind es morgen. Deshalb habe ich morgen frei, ich nehme mir immer frei am 15 . Januar.«
Er schwieg, doch es lag in der Luft, dass er noch etwas hinzufügen wollte. Das war offensichtlich.
»Ihr habt ihn nie erwischt.«
Wir?
Musste Ari etwa für die Sünden der anderen büßen?
»Wer ihn?«
»Den Autofahrer. Ein Freund meines Bruders saß mit im Auto. Er hat den Unfall ganz knapp überlebt, und konnte deswegen erzählen, was passiert war. Er sagte, dass ihnen jemand entgegengekommen war, genau in der Mitte der Straße – deswegen hat sich das Auto überschlagen. Es war nicht die Schuld meines Bruders. Es herrschte eine schlechte Sicht und dieser …« – er musste sich offensichtlich zusammenreißen und seine Wut zügeln – »… dieser Autofahrer hat sie regelrecht von der Straße gedrängt. Das Auto hat sich dann überschlagen.«
Schweigen.
»Ihr habt ihn nie erwischt. Es war so schwierig, den Wagen zu erkennen; dunkel, vielleicht rot, schwierig zu sagen – keiner hat sich gemeldet, und damit wurde die Sache abgeschlossen. Die Sache liegt sicher zuunterst in irgendeiner Schublade auf der Wache.«
Ari schwieg. Konnte nichts tun außer zuzuhören. War vielleicht besser darin, als er gedacht hatte.
Er stand auf und
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