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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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Teufel nochmal. Konnte Tómas nicht bald kommen?
    Ari sagte kein Wort. Versuchte, an etwas anderes zu denken.
    Die Minuten verstrichen. Tómas zögerte es vielleicht absichtlich hinaus, zurückzukommen; wollte Karl etwas schwitzen lassen? Falls dem so war, so schien das keinen Erfolg zu haben.
    Ein Klingeln unterbrach das Schweigen.
    Ari schaute auf das Display seines Handys, das auf dem Tisch lag.
    Kristín.
    Er nahm sein Handy und schaltete das Klingeln aus. Weder der richtige Ort noch der richtige Moment, um zu antworten.
    Kristín
. Es war eine ganze Weile her, seit er etwas von ihr gehört hatte. Was wollte sie? Er hatte Lust, sie unmittelbar darauf anzurufen; verdammt schlechtes Timing von ihrer Seite.
    Die Distanz hatte das ihre getan. Die Mails wurden immer seltener. Er vermisste sie, wollte sich nachts am liebsten an sie schmiegen, wenn er sich am schlechtesten fühlte, wenn die Einsamkeit am schlimmsten war. Andererseits war er aber immer noch irritiert über sie; irritiert über ihre Reaktion wegen seines Wegzugs in den Norden, irritiert darüber, dass sie das erste Wochenende nicht mit ihm nach Siglufjörður hatte fahren wollen, irritiert darüber, dass sie ihn an Weihnachten nicht angerufen hatte. Sie hatte ihn allerdings am Weihnachtstag angerufen … am Weihnachtstag.
Verdammt nochmal. Freundinnen rufen am Heiligen Abend an, alte Tanten rufen am Weihnachtstag an!
    Die Tür wurde plötzlich aufgerissen. »Kann ich kurz mit dir reden, Ari, hier vorn.« Tómas’ Stimme klang fest, entschlossen.
    »Ich habe sie alle kontaktiert«, sagte er, als Ari nach vorn gekommen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Alle Spielgenossen.« Dramatisches Schweigen; er hatte wohl ein wenig schauspielerisches Talent. »Sie sagen alle dasselbe. Er war die ganze Zeit dort, kam kurz nach fünf – und spielte, was das Zeug hielt. Ging erst, als er den Anruf von der Nachbarin erhielt.«
    »Wann hat Linda ihre Arbeit verlassen?«
    »Gegen halb sieben, ich habe die Krankenschwester erreicht, die mit ihr zusammen auf der Station gearbeitet hat. Linda hat ihre Schicht beendet, noch einen Kaffee getrunken und ist dann nach Hause gegangen. Sie fühlte sich nicht ganz wohl. Er scheint es also nicht getan zu haben.«
    »Hast du etwas von Hlynur gehört?«
    »Nein. Lassen wir ihn noch etwas länger suchen.« Tómas warf einen Blick aus dem Fenster; die Sicht war gleich null. Ari konnte sich glücklich schätzen, dass er für diese Aufgabe nicht eingeteilt worden war.
    »Ich werde mal versuchen, den Arzt anzurufen. Warte kurz. Dann machen wir mit dem Verhör weiter«, sagte Tómas.
    Das Handy klingelte in Aris Hosentasche. Es war wieder Kristín. Er überlegte kurz, ob wohl etwas geschehen sei. Sie würde ihn ja wohl kaum plötzlich so sehr vermissen? Tómas war am Telefon, also ergriff Ari die Gelegenheit und antwortete. Einen kurzen Augenblick sah er Ugla vor sich, schob diesen Gedanken aber umgehend beiseite.
    »Was ist eigentlich los?«, fragte Kristín ohne Umschweife, mit kühler Stimme, aber in entschlossenem Ton. Neugierig, angespannt.
    »Was meinst du?« Das war nicht die Begrüßung, die er erwartet hatte. Kein
hallo, Liebling
. Keine Anzeichen von Zuneigung.
    »Ja, diese Frau – du weißt schon – die Frau im Schnee.«
    Wie zum Teufel …
    »Wie hast du davon erfahren?«
    »Na ja, ich habe es gerade im Internet gesehen.« Sie nannte ihm die Website. »Untersuchst du etwa die Sache?«
    Er eilte an den Rechner.
     
    Frau nach Angriff nackt und bewusstlos in Siglufjörður aufgefunden.
     
    »Wie bitte, … ja, aber ich kann dazu nichts sagen.«
Mein Liebling
. Die Worte blieben aus; das, was letzten Herbst noch so selbstverständlich über seine Lippen gekommen war, schien auf einmal in weiter Ferne zu sein. Er verspürte dennoch das Verlangen, etwas Nettes zu sagen; etwas Liebes, aber sie hatte ihn anscheinend nur aus lauter Neugier über den scheußlichen Übergriff angerufen. Er spürte, wie die Irritation erneut in ihm aufflammte.
    »Hör mal, ich kann jetzt nicht reden; ich muss hier weitermachen«, sagte er und beendete das Gespräch.
    Er hörte im Hintergrund das Geraune von Tómas’ Telefongespräch, der auch gerade aufgelegt hatte.
    »Ich habe den Arzt erreicht«, sagte er und kam zu Ari hinüber. »Er wird nachher nochmals anrufen – sie ist immer noch bewusstlos. Er glaubt, dass sie wahrscheinlich eine Dreiviertelstunde dort gelegen hat. Es grenzt an ein Wunder, dass sie noch am Leben ist. Gott sei

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